Das ist ein Blutfleck, denke ich. An der Wand neben meinem Sitz. »München Hauptbahnhof« steht auf dem Monitor. Der ICE fährt 275 Stundenkilometer schnell, Ankunft neun Uhr sechzehn, und vor dem Fenster liegt die Nacht. Ich berühre den Fleck, weil ich nicht anders kann, merke, dass er noch feucht ist, rieche an meiner Fingerkuppe und erkenne den metallischen Geruch. Das Blut ist echt. Ich sehe mich um, ganz vorsichtig, das Licht zu grell. Ein Student schläft, eine Frau im Anzug flüstert etwas in ihr Telefon. Nur ein Mann sieht mich direkt an. Mir ist nach Flucht.
Ich kann nicht anders: Diese Geschichten lauern überall, sie überfallen mich. Preise sind ungerecht, und Stipendien bekommen immer nur die anderen. Bis man sie selbst erhält. Die Bayerische Akademie des Schreibens und das Literaturhaus München bieten ein dreiteiliges Seminar mit dem Thema »Kriminalromane« an. Ich bewerbe mich mit meinem Stoff. Jetzt bin ich hier. Geleitet wird die Veranstaltung von der Schriftstellerin und Verlegerin Zoë Beck und ZEIT-Redakteur Tobias Gohlis, beide Ikonen ihres Fachs. Neun AutorInnen treffen sich. Die Bandbreite ist groß: Zwei Männer, sieben Frauen, Mitte Zwanzig bis Anfang Fünfzig, arrivierte Schriftsteller, Debütanten, Studierende und vom Literaturbetrieb noch Unberührte. Vom psychologischen Kammerspiel bis zum Politthriller ist alles dabei. Literarisches und Regionalkrimi, Finsteres und Witziges. Was ist Handlung? Was Struktur? Überzeugende Figuren sind der Dreh- und Angelpunkt. Jeder muss sein Projekt vorstellen und vorlesen, hört das von den anderen, was er selbst beim Schreiben nicht mehr hören konnte oder wollte.
Keith Cunningham berät TV-Sender und DrehbuchautorInnen. Mit ihm zusammen gehen wir auf »Heldenreise«. Wir müssen unsere Protagonisten quälen wie uns selbst. Wir weigern uns, doch etwas zwingt uns dazu. Wir steigen hinab ins Dunkel, in die Unterwelt, wir scheitern immer wieder, bis wir das Böse erkennen, überwinden und etwas retten müssen, um als Andere aufzutauchen in der Welt des Lichts. Die Textarbeit laugt aus. Ich brauche Koffein.
Alexander Horn treffen wir im Gespräch. Er ist mit den Nacht- und Schattenseiten der menschlichen Natur vertraut. Fallanalyse heißt sein Fach, nicht Profiling. Seit achtzehn Jahren verfolgt er Mörder. Keine Monster. Auch sexuell motivierte Serientäter. Wie er sie sucht, erkennt und stellt, erklärt er uns. Wie er Unwahrscheinliches eliminiert — denn auch hier geht es um Struktur — und zu Hypothesen gelangt, bis er den Täter stellt. DNA, Wutmuster an Tatorten, vom Fluch und Segen der Vorratsdatenspeicherung, Zeugen, Verbindungsnachweise und Zufälle. Das Böse ist banal; zumindest das ist kein Klischee. Auf der Leinwand all diese Kinderleichen. Echte, keine ausgedachten. Jetzt brauche ich ein Taschentuch.
Ich schreibe und reise allein, genauso wie die anderen. Aber wir treffen uns, tauschen uns aus und lernen. Solidarisch, immer fair. Ich lösche, ändere und vertiefe meinen Stoff. Dankbar, dass meine Worte wertgeschätzt und gefördert werden. Am 10.11.2015 werden wir Vollendetes laut verlesen. Genau hier an diesem Ort. Preise sind ungerecht, und Stipendien bekommen immer nur die anderen.
Bis man sie selbst erhält und glücklich ist.
»Komm näher und tritt ein. Ich bin nur eine harmlose Schriftstellerin und stehe auf Spannungsromane und saure Pommes. Wenn Besuch kommt, koche ich Kaffee. Nimmst du deinen mit Zucker, Milch oder Arsen?«
So begrüßt uns KATJA BOHNET auf ihrer Homepage. Als sie 2014 in das Krimiseminar der BAYERISCHEN AKADEMIE DES SCHREIBENS mit Zoë Beck & Thomas Wörtche kam, hatte sie schon einen Buchvertrag in der Tasche. Seither hat sie fünf Romane veröffentlicht, die mit Rasanz und einer gehörigen Dosis Pulp Fiction in die Welt des Verbrechens, aber auch auf Bestenlisten und zu Glauser-Preis-Nominierungen führen. Das jüngste Werk heißt »Fallen und Sterben« (Knaur 2020). Katja Bohnet lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in der hessischen Provinz.
»KRIMINALROMANE«
Leitung: Zoë Beck & Tobias Gohlis
Teil I: 7.-12. November 2014 im Literaturarchiv Sulzbach Rosenberg
Teil II: 17.-20. Mai 2015 im Literaturhaus München
Teil III: 8.-12. November 2015 im Literaturhaus München
Die Autorenseminare der Bayerischen Akademie des Schreibens werden getragen von der Stiftung Literaturhaus München und dem Literaturarchiv Sulzbach Rosenberg. Sie werden unterstützt durch das Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst.
das finde ich prima so ein seminar ist das kostenlos?
es grüsst euch carlos julian la paz
Alle Infos zur Bayerischen Akademie des Schreibens unter http://www.literaturhaus-muenchen.de/akademie