GESCHICHTE DES SALVATORPLATZES
Wer das Literaturhaus mitten in Münchens Altstadt aufsucht, bewegt sich auf geschichtsträchtigem Terrain. Theatinerkirche und Fußgängerzone sind nur einen Steinwurf entfernt, die alten Fassaden der Bankhäuser und der Luitpoldblock in nächster Nachbarschaft. Hier, am Salvatorplatz, erhebt sich der renovierte Bau des Literaturhauses München.
FRIEDHOF UND MARKTPLATZ
Die Salvatorkirche wurde 1480 als Friedhofskirche errichtet. Der Friedhof, der die Kirche ursprünglich umgab, wurde im 18. Jahrhundert zum Marktplatz. Als 1885 der Magistrat der Stadt München beschloss, am Salvatorplatz ein Schulhaus zu bauen, wurde der beliebte Markt in das Erdgeschoss integriert.
UNTERRICHT FÜR JUNGES GEMÜSE
Die Schulstunden fanden in den darüber liegenden Stockwerken statt. 1906 wurde der Marktbetrieb eingestellt, die Volksschule wurde 1925 zur ersten Mädchenrealschule Bayerns umgewandelt. 1944 beschädigte ein Bombentreffer das oberste Stockwerk. Bis 1995 wurde das Haus von der Städtischen Musikschule und anderen städtischen Schulen als Ausweichquartier wie auch von der russisch-orthodoxen Gemeinde genutzt.
TREFFPUNKT DER BÜCHERWELT
1993 beschließt der Münchner Stadtrat, auf Initiative von Dr. Ulrich Wechsler und Dr. Reinhard G. Wittmann, das sanierungsbedürftige Gebäude einer Nutzung als Literaturhaus zuzuführen. Die Stadt München gründete gemeinsam mit Verlegern die Stiftung Buch-, Medien- und Literaturhaus München. Dr. Ulrich Wechsler war Mitglied des ersten Stiftungsvorstands und wurde im Oktober 1993 zum Vorsitzenden des Vorstands gewählt. Dr. Reinhard G. Wittmann, der bereits erfolgreich das Literaturhaus Hamburg mit aufgebaut hatte, übernahm die Leitung des Hauses. Unter Bauherrschaft der Stiftung beginnen im Mai 1995 Sanierung und Umbau von Haus und Platz. Bereits zwei Jahre später, im Juni 1997, öffnet das Literaturhaus München seine Pforten und ist fortan als Kultureinrichtung nicht mehr aus München wegzudenken. 2016 wählte der Stiftungsvorstand, nunmehr unter dem Vorsitz des Droemer-Verlegers Dr. Hans-Peter Übleis, die Verlegerin Tanja Graf als Nachfolgerin von Dr. Reinhard G. Wittmann. Sie leitet das Haus seit 1. Juli 2016. Wer literarisch Rang und Namen hat, oder auf dem Weg ist, beides zu erlangen, tritt hier auf. Rund 220 Veranstaltungen pro Jahr finden statt, von der klassischen Wasserglas-Lesung des Starautors bis zum fast schon legendären Debütanten-Mix mit Musik, Drinks und literarischen Entdeckungen.
Das Literaturhaus begreift sich auch als Ort für Debatten von gesellschaftspolitischer Relevanz: Spannende Podiumsdiskussionen mit Gästen aus Politik und Wirtschaft, aus Naturwissenschaft und Philosophie werden ebenso geboten wie multimediale Abende mit Film, Video oder Live- Zeichnen mit Helden der Comicszene.
Seit 2017 besteht die Kooperation mit dem BR-Symphonieorchester in der Reihe »TonSatz«, wo Solisten des weltbekannten Orchesters auftreten und mit Literaten über die poetische Durchdringung von Musik und Text plaudern. In der Reihe »Historisches Quartett« tauschen sich regelmäßig hochkarätige Wissenschaftler über die neuesten Sachbücher zum Thema Geschichte aus; die Reihe »Klassiker des Monats« lädt dazu ein, Autoren zu entdecken, von denen man immer schon mal etwas lesen wollte … oder von denen man noch nie gehört hat.
Das Literaturhaus München bietet über die Veranstaltungen hinaus weitere Besonderheiten: Die große Galerie im Erdgeschoss zeigt jährlich vier wechselnde Literaturausstellungen. Hier lässt sich Literatur dreidimensional erfahren. Das Literaturhaus München bietet zudem vielfältige Angebote für angehende Autoren, darunter die hochkarätigen Seminare der »Bayerischen Akademie des Schreibens«, jeweils geleitet von einem namhaften Autor und einem professionellen Lektor. Viele Autoren, die an diesen Seminaren teilnahmen, konnten sich anschließend über Buchverträge freuen. Aber auch Schreibkurse für Schüler*innen, Projekttage & Lehrerfortbildungen sind ein wichtiger Bestandteil der Nachwuchsförderung: Den Besuchern zu zeigen, wie sie ihre eigene Kreativität entdecken und die Möglichkeiten, die das Selbst-Schreiben für Integration und Selbstbewusstsein eröffnen – das gehört zu den Herzensanliegen des engagierten Literaturhaus-Teams.
ARCHITEKTUR
Mit der Eröffnung des Literaturhauses wurde »ein Teil der Altstadt aus dem Dornröschenschlaf gerissen«, wie eine Journalistin schrieb. Die Aufwertung des Platzes zu einem Mittelpunkt urbanen Lebens verdanken wir, neben der Attraktivität der Veranstaltungen und des Kaffeehauses, einer architektonischen Spitzenleistung, die vom Bund Deutscher Architekten mit dem BDA-Preis 1997 gewürdigt wurde.
RESPEKT VOR RENAISSANCE
Das im massiven Renaissance-Stil erbaute, ehemalige Schulhaus hatte im Krieg einen Bombentreffer einstecken müssen und war erheblich renovierungsbedürftig. Die Herausforderung: Die Schönheit des Hauses zu bewahren und in harmonischem Zusammenspiel von Tradition und Moderne, alter Substanz und zeitgemäßer Funktion neu zu gestalten. Dem Münchner Architekturbüro Kiessler + Partner ist es auf beispielhafte Weise gelungen, eine ausgewogene, in sich stimmige Lösung zu finden.
ÜBER ALLEN DÄCHERN
Die Planer krönten das Gebäude mit einer lichten Stahl-Glas-Konstruktion, die einen atemberaubenden Blick zur Kuppel der Theatinerkirche und über die Dächer Münchens frei gibt. Heute genießt diese oberste Etage bei allen Besuchern große Anziehungskraft.
SCHULE DER KLARHEIT
In den beiden darunter liegenden Geschossen ist der ehemalige Schulcharakter noch gut erkennbar: Entlang großzügiger Flure sind die Büros der unterschiedlichen Institutionen aufgereiht. Der ehemalige Turnsaal der Mädchenrealschule im ersten Obergeschoss dient heute der Stiftung Literaturhaus als Bibliothek, in der auch Lesungen stattfinden.