Konzentrierter Blick. Hochgezogene Augenbrauen. Aufmerksam lauscht Maximilian Höcherl, wie Lisa Wagner und Thomas Loibl eines von Ernst Jandls kultigen Sprechgedichten zum Besten geben.
»… ottos mops kommt / ottos mops kotzt / otto: ogottogott«
Das Horn liegt einsatzbereit in seinem Schoß, wartet darauf, die Geschichte von Ottos Mops Musik werden zu lassen – begleitet von Stephan Weiser am Klavier. Doch wie vertont man einen Mops?
Kein Problem für die Improvisationstalente Höcherl und Weiser. Mit comicartigen Klängen erwecken sie den trotzenden, hopsenden Mops zum Leben, lassen ihn vor dem geistigen Auge des Publikums erscheinen – und sorgen damit für schallendes Gelächter. Diesem, so scheint es, würde Maximilian Höcherl sich gerne anschließen. Immer wieder verziehen sich seine Lippen zu einem Schmunzeln. Doch Lachen und Hornspielen: Das verträgt sich nicht. Höcherl hält seine Belustigung zurück und widmet sich weiter der spielerisch-niedlichen Darstellung von »ottos mops«.
Literarische Texte (von lustiger Lyrik zu packender Prosa), vorgetragen von den beiden Schauspielstars Lisa Wagner und Thomas Loibl, musikalisch interpretiert von Pianist Stephan Weiser gemeinsam mit Sänger und Hornist Maximilian Höcherl: Mit dieser Veranstaltung am 26.7.2023, die es so im Literaturhaus noch nie zuvor gegeben hat, wird nicht nur das Saison-Finale gefeiert, sondern vor allem die Literatur in all ihrer Vielfalt. Wie wurden die Texte ausgewählt? Das Publikum selbst durfte vorab seine Lieblingswerke einschicken und konnte somit den Abend gleichermaßen besuchen wie mitgestalten.
Mit einem Lostopf geht Marion Bösker-von Paucker durch die Reihen und sucht sich immer wieder eine neue Person, die einen magischen Zettel ziehen und enthüllen darf, welches Werk uns als nächstes erwartet. Denn auch die Reihenfolge der vorgetragenen Texte liegt in den Händen der Gäste. Ein Mann liest in bayerischem Dialekt vor: »Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Wir haben es nicht gut gemacht. Der Briefwechsel.«
Gebannt richten sich die Blicke zur Bühne. Von dort erklingt die warmherzige und zugleich raue Stimme Lisa Wagners:
»Ihr Brief ist mir schon so vieles gewesen in dieser Zeit, die schönste Überraschung, ein beklemmender Zuspruch und zuletzt noch Trost.«
Ihr Vortrag weckt Gefühle, die nach kurzer Zeit im ganzen Saal zu spüren sind: Sehnsucht, Trauer, Melancholie.
»Ich liege neben Dir, Ingeborg, und Du bist nicht da. Wirst Du je wieder da sein?«
antwortet Max Frisch – gelesen von Thomas Loibl. In seinen Worten schwingen so viel Liebe und Gier, dass sich jedes Körperhaar im Raum aufrichtet. Schließt man die Augen, könnte man meinen, es seien wirklich Ingeborg Bachmann und Max Frisch, die da oben sitzen und uns an ihrer tragischen Liebesgeschichte teilhaben lassen.
Wer glaubt, mit diesem sehnsuchtsschweren Briefwechsel auf der einen und Jandls kotzenden Mops auf der anderen Seite sei die große literarische Bandbreite bereits ausreichend dargestellt, der täuscht sich. Noch viele andere Titel verschiedenster Genres warten im Lostopf darauf, gezogen zu werden. So hören wir Mascha Kaléko, die uns wohlwollend rät:
»Jage die Ängste fort / Und die Angst vor den Ängsten.«
Wir fühlen mit Franziska Gräfin zu Reventlow, die ihr pathologisch gestörtes Verhältnis zu Geld, ihren »Geldkomplex«, nüchtern und gleichermaßen humorvoll beschreibt und haben keine andere Wahl als Rilkes Worten zu folgen:
»Du mußt das Leben nicht verstehen / dann wird es werden wie ein Fest.«
Und so divers wie die Texte sind auch ihre musikalischen Interpretationen. Wir lassen uns verwöhnen von Höcherls einfühlsamen Gesang, lachen begeistert auf, als Horn und Klavier den Soundtrack zu »Per Anhalter durch die Galaxis« erklingen lassen und bleiben aufgewühlt und mit Kloß im Hals zurück, nachdem die von Friedrich Dürrenmatt beschrieben Kriegs-Szenerie zu Musik wurde.
Ja, an diesem besonderen Abend passierte wohl das, was Giuseppe Tomasi de Lampedusa so schön beschreibt: Es war »eine sinnliche Aura ins [Literatur]haus eingedrungen.« Wir durften nicht nur großartigen literarischen Werken hinterherträumen, sondern auch einer wunderbaren Saison des Literaturhauses, die nun zu Ende geht.
Das Publikum war begeistert und wurde schweren Herzens in die Sommerpause entlassen, doch nicht, ohne ein kleines Mitbringsel des Literaturhauses selbst – ein Gedicht von Robert Gernhardt:
»Am schönsten ist es / mit so geretteten süßen Geschöpfen / einige gute Flaschen Schampus zu köpfen: Das ist am allerschönsten.«
Sina Bahr & Jenni Holtgrewe
SINA BAHR studiert Journalistik und unterstützt das Literaturhaus München von Anfang Juli bis Ende September 2023 als Praktikantin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Im selben Zeitraum absolviert auch JENNI HOLTGREWE ihr Praktikum, ihr Schwerpunkt hingegen ist das Vorbereiten der Ausstellung. Im Bachelor studierte sie Englisch und Französisch und hofft nun auf einen Masterplatz an der LMU für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Was die beiden ins Literaturhaus verschlägt? Ganz klar: die Liebe zur Literatur!