AUF DEM OP-TISCH

Merlin Wassermann über einen Workshop-Tag für Studierende der BAYERISCHEN AKADEMIE DES SCHREIBENS im Literaturhaus

In die Betrachtung der »Operation« – ein Gemälde Christian Schads von 1929 – sind Teilnehmer des Jahrgangs 2020/21 des Schreibseminars der Bayerischen Akademie versunken, die sich zu einem Nachtreffen eingefunden haben, darunter auch ich. Wir hatten Glück im Corona-Unglück, alle unsere Sitzungen – bis auf die Abschlusslesung – mussten online stattfinden. Grund genug, sich einmal IRL zu treffen, um über Lust und Unlust des Schreibprozesses zu sprechen und an alten und neuen Texten herum zu operieren.

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Merlin Wassermann bei der Abschluss Lesung der Uni-Seminare 2021 ©privat

Das Skalpell zum Auftakt reicht uns Nanina Matz, Autorin und Teilnehmerin des letzten Romanseminars der Bayerischen Akademie des Schreibens. Mit ihr tauschen wir uns über verschiedene Arbeitsweisen bei der Textproduktion aus, die schlussendlich alle auf einen gemeinsamen Nenner hinauslaufen: hinsetzen, Klappe halten, konzentrieren, schreiben – wenn möglich, regelmäßig. Leichter gesagt als getan, also wuseln wir ins Nebenzimmer und machen den »Pomodoro!« Das ist kein italienischer Volkstanz, um kreative Säfte zum Zirkulieren zu bringen, sondern eine einfache Schreibtechnik. Kein »nur schnell einen Tee machen«, kein »ich muss aber ganz dringend« – 20 Minuten lang stört nur das Kritzeln der Stifte und Klackern der Tastaturen die konzentrierte Stille. Vielleicht sind wir alle Naturtalente, vielleicht will sich auch niemand eine Blöße geben, doch am Ende hat jeder zumindest ein kleines, neues Stück an einen alten Schubladentext drangenäht. Die Methode eignet sich übrigens auch sehr gut, wenn man, beispielsweise, auf den Wäschetrockner wartet und noch einen Blogeintrag zu verfassen hat…

Den Großteil der Zeit verbringen wir damit, in den Eingeweiden mitgebrachter Texte zu wühlen. Jetzt werden die Einweghandschuhe angezogen und es geht ans Eingemachte. Eine Stunde lang wird jedes Schriftstück durchleuchtet, krankendes Satzgewebe entfernt, gesunde Elemente geschont und gestärkt. Dabei herrscht nicht immer Einigkeit bezüglich der Diagnose, es wird fleißig diskutiert und ich hoffe dabei, dass es bei meiner nächsten, echten Operation etwas einvernehmlicher vonstattengeht: »Ich entferne nun den Blinddarm…« »Moment! Das geht mir an dieser Stelle etwas zu glatt, es braucht hier mehr Konflikt! « Oder: »Bitte zunähen. « »Was, wenn wir an einer anderen Stelle zunähen? Dann könnten wir gleich auch die Brust mit dem Darmausgang verbinden, das wäre doch ein super Spannungsbogen! «

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© Lisa Rettinger

Ein Text ist stets eine Erweiterung des Selbst, das ihn hervorgebracht hat und so wünsche ich mir, als mein Beitrag und ich an der Reihe sind, wir hätten uns anästhesieren lassen… Dann versuche ich aber einfach, mir den Schmerz nicht zu sehr am Gesicht ablesen zu lassen und tröste mich mit der Vorstellung, dass es den anderen genauso geht. Dennoch, es ist (zumindest für mich) der bereicherndste Teil des Programms. Der korrigierende Eingriff von außen hilft, dass sich ein Text nicht zu einem wuchernden Krebsgeschwür, sondern zu einer gesunden Ergänzung entwickelt – auch wenn´s wehtut.

Einen Mangel an Betäubung teilen wir ohnehin mit dem Patienten der »Operation«. Immer wieder halten wir inne, um das Bild auf uns wirken zu lassen und schließlich eine kleine Passage dazu anzufertigen. Im Zentrum stehen dabei abermals weniger die Worte selbst als vielmehr die Reflexion über unsere Herangehensweise: Was sticht uns sofort ins Auge, welche Perspektive nehmen wir instinktiv ein, welche Themen interessieren uns daran besonders.

Ob wir wollten oder nicht, wir alle haben während des Workshops immer wieder die Rolle des Patienten eingenommen, uns geöffnet und Dinge von uns Preis gegeben. Gleichzeitig waren wir ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen, haben uns der anderen angenommen und versucht, das beste aus den Texten herauszuholen. Es war besonders schön, dass alle in der Gruppe, ob SeminarteilnehmerIn, -mitgestalterIn oder -organisatorin, diese Intimität zugelassen haben. Am Ende des Tages gab es keine Kurpfuscherei, alle gehen gestärkt und motiviert nach Hause. In diesem Sinne: Operation geglückt, das Schreiben lebt.

MERLIN WASSERMANN hat Politikwissenschaften und Geschichte studiert und arbeitet mittlerweile als freier Journalist, hauptsächlich für die Süddeutsche Zeitung. Kreativ schreibt er hauptsächlich aus Trotz, weil er nicht einsehen will, dass es ihm so schwer fällt. Er war Teilnehmer des Uni-Seminars IMAGINÄRE FREUNDE für Studierende der Universitäten Regensburg, LMU München & Erlangen vom 22.1.21 – 18.6.21 unter der Leitung von Jackie Thomae (Autorin) & Jörg Sundermeier (Verleger // Verbrecher Verlag) .

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