Lesungskritik: ›Die Geschichte des Wassers‹

Das Phänomen Maja Lunde

Maja Lunde // Foto: Catherina Hess

Maja Lunde – das ist ein Phänomen. Plötzlich war sie da, plötzlich sprachen Buchhändler*innen, Leser*innen und alle Medien von ihr, von dieser Norwegerin, die gleich mit ihrem ersten Roman einen Riesenbestseller landete: »Die Geschichte der Bienen« war laut Spiegel der erfolgreichste Roman im Jahr 2017, die Mischung aus Historischem Roman und Science Fiction, aus Familiengeschichte und Öko-Thriller hat die Menschen fasziniert.

Zu Recht, wie wir fanden, und so haben wir die Autorin eingeladen, ihren zweiten Roman bei uns im Literaturhaus vorzustellen. Am 19. September 2018 war es soweit, Maja Lunde kam mit »Die Geschichte des Wassers« ins Literaturhaus, dem zweiten Teil eines »Klima-Quartetts«, wie der Verlag (btb) verkündete, aha, man darf also zwei weitere Bücher erwarten, offenbar ebenfalls Texte, die sich mit dem beschäftigen, was der Welt am meisten schadet: mit uns, mit den Menschen. Worum es genau gehen wird, was nach dem Sterben der Bienen und dem Versiegen des Trinkwassers verhandelt werden soll, das haben weder Verlag noch Autorin bisher verraten. Maja Lunde hüllte sich in Schweigen, in keinem Interview verplapperte sie sich, in keiner Literaturkritik war auch nur ansatzweise herauszulesen, wofür sie recherchiert, keiner Zeitung und keinem Fernsehsender gab sie einen Hinweis. Ob sie wohl hier im Literaturhaus…? Ach nein, das wäre ja zu schön…

Annette Paulmann // Foto: Catherina Hess

Nun ging es aber auch zunächst einmal um »Die Geschichte des Wassers«, wir eröffneten den Abend mit Musik und ließen den Anfang eines Liedes laufen, das für Maja Lunde eine wichtige Bedeutung hat: »River« von Joni Mitchell, ein wunderschöner Song aus dem Album »Blue«. »Blau« (»Blå« im Norwegischen) heißt das Boot, auf dem die fast 70jährige, hartnäckige und widerständige Umweltaktivistin Signe im Jahr 2017 von Norwegen nach Frankreich segelt. Der Fluss, das Fließen, das Wasser… es versiegt, wir erleben, wie die norwegischen Gletscher schmelzen, wie das ewige Eis bröckelt, wie Rinnsale versickern und die Natur langsam aber sicher ausdörrt. Zur selben Zeit exportieren übrigens Luxusfirmen Gletschereis als Eiswürfel für Superreiche, und nein, das ist keine Erfindung, Maja Lunde machte deutlich: die Realität ist oftmals absurder als jede Fiktion.

Die zweite Zeitebene führt uns ins Jahr 2041, in ein Europa, in dem ganze Länder ausgetrocknet sind, in dem Spanien nicht mehr existiert, Frankreich leergefegt ist, sich die Menschen auf der Flucht befinden in Richtung Norden, weil es dort angeblich die letzten Trinkwasservorkommen gibt. David ist hier die Hauptfigur, ein junger Vater, der versucht, sich und seine Tochter zu retten. Wir wollten von Maja wissen, ob sie mit dem Jahr 2041 nicht ein bisschen arg schwarz malen würde, ob sie diese Version des Weltuntergangs nicht ein wenig zu nah an unsere Zeit gerückt hätte, und sie erzählte, dass sie das im Jahr 2017, als ihr Buch in Norwegen erschienen ist, auch hin und wieder dachte. Doch heute, nach einem Sommer, in dem nicht nur Badeseen, sondern ganze Landstriche ausgedörrt sind, Ernten vertrockneten und Wälder brannten, sei sie sich sicher, dass all das, was sie beschreibt, viel früher auf uns zukommen könne. Wir berührend es war, als Moderatorin Laura Freisberg sagte, ihr eigener kleiner Sohn sei im selben Jahr zur Welt gekommen wie David, er würde im Jahr 2041 genauso alt sein, was für eine Vorstellung! Man merkte, dass in diesem Moment viele Zuschauer*innen nachrechneten: »Wie alt werde ich sein im Jahr 2041?«, und die Atmosphäre im Saal wurde noch ein bisschen konzentrierter, zugewandter, dichter.

Laura Freisberg // Foto: Catherina Hess

Man spürte, dass Maja Lunde durch ihre klugen, klaren, ehrlichen Antworten alle im Saal erreichte, dass ihr Roman, ihr empathisches Schreiben an alle rührte oder besser: an allen rüttelte. Annette Paulmann, diese großartige Schauspielerin, gab den ausgewählten Textpassagen durch ihre Interpretation nochmal eine ganz besondere Magie, sie schuf eine Stimmung, die zwischen Staunen und Entsetzen, Pragmatismus und Zynismus, Humor und Traurigkeit changierte. Maja Lunde lauschte gebannt, man merkte, wie gern sie hier war und wie einverstanden sie war: mit dem Gespräch, mit der Lesung, der Atmosphäre. Und da sagte sie plötzlich, dass sie sich zwar bis jetzt zurückgehalten habe mit Informationen zu ihren kommenden Büchern, dass sie sich aber heute hier so wohl fühle, dass wir die Ersten seien, mit denen sie über ihre Pläne reden wolle.

Maja Lunde // Foto: Catherina Hess

Und so kündigte sie an, dass Band drei ihrer Tetralogie wieder ein Roman in drei Zeitebenen sein würde, dass wir nach Russland und die Mongolei (und nach Norwegen!) reisen würden, auf den Spuren von Tieren, die ausgestorben sein werden. Was dann noch bleiben würde? Wenig Kreatürliches, wenig Leben – bis auf das, was keimt, sich durchs Erdreich wühlt, Samen bildet, wächst, der Anfang der Welt war, wie wir sie kennen – darum solle es in Band vier um die Pflanzen gehen, und Maja Lunde war anzumerken, dass ihr jedes Wort, jeder Satz ein Anliegen war.

Und die Autorin dieser Zeilen fragte sich wieder einmal, ob Literatur helfen kann, die Welt zu verbessern. Nach diesem Abend lautet die Antwort ganz klar: Ja.

Mi 19.9.18
»DIE GESCHICHTE DES WASSERS«
LESUNG MIT MAJA LUNDE
Lesung: Annette Paulmann (Kammerspiele München)
Moderation: Laura Freisberg (BR)

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