Lesung: Annette Paulmann (Kammerspiele München)
Moderation: Laura Freisberg (BR)
Norwegen, 2017. Die fast 70-jährige Umweltaktivistin Signe versucht, mit einem Segelboot die französische Küste zu erreichen. Mit an Bord: Eine Fracht, die das Schicksal der Erde verändern könnte. Knapp 25 Jahre später: David, ein junger Vater, flieht mit seiner Tochter Lou vor der katastrophalen Dürre in Südeuropa nach Norden. Die Lage scheint hoffnungslos – bis sie ein altes Segelboot entdecken: Signes Segelboot. Der neue Roman der Bestsellerautorin Maja Lunde (»Die Geschichte der Bienen«) ist fesselnde Lektüre und ergreifende Warnung vor der Zerbrechlichkeit unserer Lebensgrundlage (btb, Deutsch von Ursel Allenstein).
»Sogar die Zeitungen in der Stadt schreiben darüber, sonst hätte ich nichts erfahren, ich habe die Artikel wieder und wieder gelesen und kann es doch nicht fassen. Sie holen Eis aus dem Gletscher, reines, weißes Eis aus Norwegen, und vermarkten es als das Exklusivste, was man in seinen Drink geben kann, einen schwimmenden Mini-Eisberg, eingetaucht in goldenen Schnaps, aber nicht für norwegische Kunden, nein, für jene, die es sich wirklich leisten können. Das Eis soll in die Wüstenstaaten transportiert und dort, in der Heimat der Ölscheichs, an die Reichsten der Reichen verkauft werden, als wäre es Gold, weißes Gold. […]
Dann habe ich das Eis endlich unter den Füßen, jeder Schritt macht ein Geräusch, ein leises Knirschen. Ich setze meinen Weg fort, jetzt sehe ich das Abbaugebiet, die Wunden im grauweißen Gletscher, harte Schnitte, die einen Kontrast zum blauen Inneren bilden, dort, wo das Eis herausgeschnitten wurde. Daneben stehen vier große weiße Säcke voll, bereit zum Abtransport. Sie benutzen Motorsägen, habe ich gelesen, schonende Motorsägen, die nicht geölt sind, damit die Eisstücke nicht beschmutzt werden.
Eigentlich dürfte mich nichts mehr überraschen von all dem, was die Menschen tun. Aber das hier versetzt mir trotzdem einen Stich, denn das muss Magnus in der Vorstandssitzung lächelnd genehmigt, ja vielleicht sogar befürwortet haben.«