»Ich halte ›Unterwerfung‹ für eine der gelungensten, weil fantasievollsten, witzigsten, um nicht zu sagen aberwitzigsten Arbeiten, die der Autor je geschaffen hat … ein grandioses Buch.«
Tilman Krause
»Ich suche als erstes einen Herrn.«
Mit diesen Worten eröffnete Literaturhaus-Leiter Reinhard Wittmann den Abend zu Michel Houellebecqs neuem Roman »Unterwerfung« (DuMont Buchverlag).
»Wer von Ihnen hat am 24.10.1970 geheiratet?«
Stille, Stühlerücken, ein erleichterter Aufruf und dann Applaus. Der Besitzer des verlorengeglaubten Eherings, der Minuten vorher gefunden wurde und bei Wittmann gelandet war, nahm das Schmuckstück dankbar entgegen.
»Was hätte Ihre Frau gesagt, wenn Sie ohne Ehering nach Hause gekommen wären. Das wollen wir uns jetzt gar nicht vorstellen«.
Gelächter.
Diese lockere Stimmung sollte sich durch den ganzen Abend ziehen, ein Umstand, der vor allem die Besucher, die den Roman noch nicht gelesen hatten, vielleicht zuerst überrascht hat. Denn die Skandalisierung des Buches schon vor dem Erscheinen in Frankreich durch Journalisten und Politiker (Houellebecq sei verantwortungslos und schüre die Ängste vor dem Islam) und der tragische Umstand, dass der Erscheinungstermin in Frankreich mit den grausamen Anschlägen auf Charlie Hebdo zusammenfiel, standen einem unvoreingenommenem Leseerlebnis im Weg.
Hinzukam die Tatsache, dass es ausgerechnet eine Karikatur Houellebecqs war, die das Titelbild von Charlie Hebdo am Tag der Anschläge zierte. Dieser Umstand und der Schock darüber, dass ein enger Freund Houellebeqcs, der Wirtschaftsjournalist Bernard Maris, unter den Opfern war, führte dazu, dass sich Houellebecq nach einem schon länger zugesagtem Interview mit den französischen Fernsehsender canal+ aus der Öffentlichkeit zurückzog und erst auf der lit.cologne in Köln am 19.1.2015 wieder auftauchte.
Hier erklärte Houellebeqc dann ausdrücklich, dass sein Buch nicht islamophob sei. Fügte aber auch hinzu, dass man dennoch durchaus das Recht haben müsse, ein solches Buch zu schreiben.
DIESES WITZIGE, BOSHAFTE UND KOMPLEXE BUCH ETWAS BESSER VERSTEHEN
Nun aber zurück nach München und zur Beschäftigung mit dem Buch selbst. Unsere Lesung ohne den Autor, dafür aber mit einem spannenden Podium und einem wunderbaren THOMAS LOIBL, war restlos ausverkauft und widmete sich ganz und gar dem witzigen, boshaften und komplexen literarischen Werk. Alle Protagonisten waren – auf unterschiedliche Weise – angetan von diesem Buch.
CLEMENS PORNSCHLEGEL nannte es ein tolles, ein wunderbares Buch über die Krise des gegenwärtigen Frankreich. ERDAL TOPORAKYARAN, Professor am Lehrstuhl für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur in Tübingen, gestand, vor dem Lesen des Buches ein mulmiges Gefühl gehabt zu haben. Fand es dann aber unterhaltsam, anspruchsvoll und amüsant bis zur letzten Seite. Und auf keinen Fall islamophob.
Dem Vortrag des Schauspielers Thomas Loibl merkte man an, dass auch er Vergnügen an dem Text hatte, die ausgewählten Lesepassagen waren voller Humor, sarkastisch, klug und machten Lust auf mehr.
»(…) ich war politisiert wie ein Handtuch, was wahrscheinlich schade war.«
François in »Unterwerfung«
Der Roman zeichnet die Prophetie eines Frankreichs im Jahre 2022. Frankreich ist am Ende. Die Sozialisten, die UMP und die Zentristen gründen eine Allianz mit Ben Abbes von der Bruderschaft der Muslime, um den Erfolg von Marine Le Pen, die 2022 den Einzug in die Stichwahl schafft, zu verhindern. Während der Stichwahl befindet sich Frankreich kurz vor einem Bürgerkrieg. In dieser Situation sehen die Politiker aus den gemäßigten Parteien eine Allianz mit Ben Abbes als klügste Lösung an. Mohamed Ben Abbes wird als Präsidenten in den Elysée befördert. Der charismatische Führer stellt die Republik sanft und ohne Gegenwind auf den Kopf, installiert islamische Bildung, Scharia und Vielweiberei. Der Islam bringt zum ersten Mal so etwas wie Ordnung, wie Moral zurück.
UTOPIE ODER GEGENWARTSKRITIK?
Für Clemens Pornschlegel geht es hier nicht um eine Utopie. Die beschriebenen Zustände, die zum Szenario des Buches führen, sind längst Realität in Frankreich. Die französische Eliten sind auf den Hund gekommen, niemand glaubt mehr an irgendetwas. Houellebecqs Roman ist kein Zukunftsentwurf, sondern eine ganz fundamentale Frankreichkritik. Seine Protagonisten sind ohne Überzeugungen. Es geht ihnen eher um das Spiel der Macht, man will dabei sein und man setzt auf den Islam, um an die Macht zu kommen. Man konvertiert dorthin, wo es die meiste Kohle gibt. Und es gibt keinerlei Widerstand gegen diese Art von Ausverkauf.
»EINE ART VON ANORMALER EHRLICHKEIT«
Der Held des Buches, der Literaturwissenschaftler François, ist eine ambivalent Figur. Der Inbegriff eines libertären Dandy: aufgeklärt, ein Macho und dennoch empfindet er ein starkes Ungenügen. Aber er ist sympathisch, weil er keine Lügen erzählt:
»eine Art von anormaler Ehrlichkeit, eine Unfähigkeit, all die Kompromisse einzugehen, die den Leuten letztlich erlauben zu leben«
Miriam über François
Am Ende kollaboriert er wie die meisten Intellektuellen mit dem neuen System, sieht die Vorteile, in der Unterwerfung. Dreifaches Gehalt und mindestens drei Frauen, das
»(…) wäre die Chance auf ein zweites Leben, das nicht besonders viel mit dem vorherigen gemein haben würde. Ich hätte nichts zu bereuen«.
UNTERWERFUNG
Zum Abschluss liest Thomas Loibl die Passage, in der der ehemalige Rechtsintellektuelle Robert Rediger, der nun als islamischer Konvertit zu neuem Ansehen gekommen ist, François in seinem Haus empfängt, wo er gerade die Verlobung mit einer fünfzehnjährigen Nebenfrau feiert. Bei Meursault, warmen Teigtaschen, Kaffee und Boukha versucht er ihn für den Islam und damit für eine neue, attraktivere Anstellung an der Universität zu gewinnen:
»›Es ist die Unterwerfung‹, sagte Rediger leise. ›Der nie zuvor mit dieser Kraft zum Ausdruck gebrachte grandiose und zugleich einfache Gedanke, dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht. Das ist ein Gedanke, bei dem ich zögere, ihn meinen Glaubensbrüdern ohne weiteres darzulegen, die ihn möglicherweise für blasphemisch halten könnten. Aber für mich besteht eine Verbindung zwischen der unbedingten Unterwerfung der Frau unter den Mann, wie sie in der Geschichte der O beschrieben wird, und der Unterwerfung des Menschen unter Gott, wie sie der Islam anstrebt.‹«
»HANDELT ES SCIH BEI HOUELLEBECQ UM EINEN RECHTEN ODER LINKEN INTELLEKTUELLEN?«
Die 90 Minuten sind um. Bleibt noch die abschließende Frage Tilman Krauses. Erdal Toprakyaran findet Gedanken beider Positionen im Buch. Er empfindet den Autor einerseits tief politisch, aber ohne sich in einer Partei klar zu positionieren. Clemens Pornschlegels Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: »Houellebecq ist kein Rechter.« Und er verweist an dieser Stelle noch einmal auf Bernard Maris und sein Buch »Houellebecq économiste«. In diesem Buch wird Houellebecq als der einzige große Autor bezeichnet, der dieses ganze neoliberale Wirtschaftssystem, in dem wir seit 30 Jahren leben mit einer Genauigkeit auseinandernimmt, die atemberaubend ist. Und Houellebecq enger Freund sei Linker gewesen. Punkt. Man kann sich nach diesem unterhaltsamen und spannenden Abend Tilman Krauses Schlussworten anschließen. Es ist deutlich geworden, dass es eine ganze Menge Lesarten des Romans und auch des Autors Houellebecq gibt.
ZUM WEITERLESEN:
Michel Houellebecq »Ausweitung der Kampfzone«
Joris-Karl Huysmans »Gegen den Strich«
Joris-Karl Huysmans »Zuflucht«
Bernard Maris »Houellebecq économiste«
MI 4.2.15
GESPRÄCH ÜBER MICHEL HOULLEBECQS NEUEN ROMAN »UNTERWERFUNG«
mit Tilman Krause (Die Welt), Clemens Pornschlegel (LMU) & Erdal Toprakyaran (Uni Tübingen)
Lesung: Thomas Loibl
Heute gab es noch einen schönen Nachtrag auf cult:online (Der Online-Ausgabe der Kulturzeitung der Bayerischen Theaterakademie)
http://www.cult-zeitung.de/2015/02/13/literatur-houellebecq-unterwerfung/