Mi 3.7.24 // 19 Uhr // Bibliothek

Vierundsiebzig

Lesung mit Ronya Othmann

Moderation: Julia Encke (FAS)

»Selbst das Aneinanderreihen der Fakten, das Zählen der Toten, selbst das Datum, 3. August 2014, oder 74. Ferman, wie wir Êzîden den Genozid nennen, bleiben ein Platzhalter für etwas, wofür wir keine Worte haben. Die Sprachlosigkeit liegt noch unter der Sprache, selbst wenn ein Text da ist. Die Sprachlosigkeit ist das Unbeschreibliche, und sie ist selbst Teil des Textes.«

Ronya Othmann »Vierundziebzig«

»Vierundsiebzig« – das ist die Zahl der Pogrome, die die Jesiden in ihrer langen Geschichte bereits erlitten haben. In ihren politischen Kolumnen (taz u.a.) und in ihrem gefeierten Debüt »Die Sommer« beschäftigte sich Ronya Othmann, deutsch-kurdisch-jesidische Autorin, mit der Geschichte der Jesiden und der ihrer eigenen Familie. In ihrem neuen Buch schildert sie nun den vom IS verübten 74. Genozid an den Jesidinnen und Jesiden im Jahr 2014 in Shingal – ein Verbrechen, das von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Sie erzählt in Form einer literarischen Reportage, findet Worte für das Unaussprechliche. »Vierundsiebzig« (Rowohlt) ist erschütterndes Zeitzeugnis und große Literatur zugleich – und der vehemente Widerspruch gegen das Vergessen.

»Kannst du dich erinnern, frage ich. An 2014.
Ich weiß nicht, sagt Rende.
Du bist durch die Berge gelaufen.
Ja, sagt Rende.
Rende, hast du den IS gesehen, fragt Tante Adar.
Rende lacht, als wäre das alles ein Witz, den sie nicht versteht.
Und wie sah er aus, der IS, fragt Tante Adar.
Rende antwortet nicht und zeigt dann auf mich. Schwarz, sagt sie. Wie ihr Kleid.«

Ronya Othmann »Vierundziebzig«