Di 8.3.22 // 20 Uhr // Saal & Stream

Das Vorkommnis

Lesung mit Julia Schoch

Moderation: Antje Weber (Süddeutsche Zeitung)

Eine Frau wird von einer Fremden angesprochen, die behauptet, sie hätten beide denselben Vater. Die Begegnung bleibt flüchtig, doch die Behauptung sitzt tief. Fragen drängen sich auf, über Ehe, Mutterschaft und Adoption, über Wahrheit und vermeintliche Sicherheit. Julia Schoch ist eine der eindrücklichsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur und vielfach ausgezeichnet, im Frühjahr 2022 erhält sie die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung für ihr schriftstellerisches Werk. Ihr neuer Roman (dtv) erzählt von der »Biographie einer Frau«, die plötzlich eine andere Richtung einschlägt, fesselnd und klarsichtig.

»An dem Tag, einem Dienstag im Dezember, war ich zu Gast im Kulturhaus einer norddeutschen Stadt und las aus meinem neuen Roman vor. Nach der Veranstaltung trat eine Frau zu mir an den Tisch, an dem ich noch sitzen geblieben war, um das eine oder andere Buch zu signieren.
Sie schob mir ihr Exemplar hin. Während ich mich darüberbeugte und meinen Namen hineinzuschreiben begann, sagte sie: Wir haben übrigens denselben Vater. In meiner Erinnerung bricht mir bei diesem Satz der Füller aus. Die Feder entgleist, und es entsteht eine lange, tiefe Linie auf dem Papier. Eine Linie des Schocks. Als wäre ich mitten in der Unterschrift von einer Kugel getroffen worden.
In Wirklichkeit – und zu meiner eigenen Verblüffung, wie ich später oft dachte, ja im Grunde bis heute denke – sprang ich sofort auf und fiel der wildfremden Frau schluchzend um den Hals.«

Julia Schoch »Das Vorkommnis«