Eine großartige Wiederentdeckung

Grace Paley, die große, alte Dame der amerikanischen Short Story!

Grace Paley: »Die kleinen Widrigkeiten des Lebens« (Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier, Schöffling & Co) Euro 19,95 ISBN 978-3-89561-235-0
Grace Paley: »Die kleinen Widrigkeiten des Lebens« (Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier, Schöffling & Co)
Euro 19,95
ISBN 978-3-89561-235-0

»Es ist nicht nur traurig, es ist sehr ungerecht, dass Grace Paley nicht so berühmt ist wie Philip Roth. Sie spielt literarisch in der allerhöchsten Liga.«

das sagte Bernadette Conrad im Schweizer Radio (»52 beste Bücher«) über die New Yorker Autorin, die nun endlich wiederentdeckt werden kann. Der Verlag Schöffling & Co. hat gleich 3 Erzählungsbände neu herausgegeben, vortrefflich übersetzt und in wunderschönen Ausgaben erhältlich.

Nun ist das ja immer leicht daher gesagt: DIE Wiederentdeckung, DIE große Autorin, DIE tollen Erzählungen, SO ein herrlicher Stil, SO gute Geschichten – blablablabla……. aber tatsächlich bin ich hingerissen. Wer die traurig-bissigen Geschichten von Dorothy Parker liebt oder auch die klaren Betrachtungen von Maeve Brennan (die ungleich melancholischer sind und viel weniger »böse« als Parker), der wird Grace Paley mit großer Freude lesen.

Da steht ein ganzes Ehedrama in einem Satz, wobei der Ehemann innerhalb von Sekunden plastisch wird:

»Einmal hat mir mein Mann zu Weihnachten einen Besen geschenkt. Das war nicht recht. Niemand kann mir erzählen, er hätte es nett gemeint.«

Da möchte man den Gatten mit eben jenem Besen aus dem Haus jagen. Oder auch nicht – vermutlich würde man sich dann doch eher die Mühe sparen, denn er würde zurückkommen. Ach ja. So isser halt, so isses halt.

Die Geschichten sind oft sehr komisch – doch immer mit einem leisen Ton der Melancholie. Dann wieder blitzt scharfer Zynismus durch, bisweilen hat man das Gefühl, die Männer, über die Grace Paley schreibt, haben weniger Haare auf der (SEHR behaarten!) Brust als die Autorin auf den Zähnen. Und was noch wunderbarer ist als die guten Beobachtungen und die knappen Dialoge und das Lesen zu einer reinen Freude macht, das ist die Sprache. Paley schreibt poetisch, entwirft zauberhafte Bilder und Stimmungen. Die Übersetzungen sind absolut geglückt, nichts scheint von der Kraft der Sätze verloren zu gehen. Große, ganz große Literatur.

Als ich angefangen habe zu lesen, hatte ich plötzlich Fernweh, etwas, das mir eigentlich fremd ist. Ich wünschte mich nach New York, in ein Café oder eine Hotel-Lobby, mit einem frühen, kühlen Glas Weißwein in der Hand und einem Pastrami-Sandwich auf dem Teller. Ich würde aus dem Fenster auf die Straße schauen und vielleicht, mit ein bisschen Glück, würde ein Mann vorbei kommen, auf den ich eigentlich gar nicht warte. Oder auf den ich schon sehr lange warte. Oder auch immer wieder. Oder so. So ungefähr. Oder ganz anders.
Aber ganz, ganz sicher wäre es wunderbar. Und bis ich wirklich dort bin, lese ich Grace Paley.

DI 24.2.15
»DIE KLEINEN WIDRIGKEITEN DES LEBENS«
EIN ABEND FÜR GRACE PALEY MIT MANUELA REICHART & WIEBKE PULS