Gegenwärtig stehen Beschwörungen von Fortschritt und Wachstum Krisenszenarien gegenüber, die Breitenwirkung nicht selten durch die neue, alte Reizfigur des »Fremden« erzielen. Dabei bleibt unklar, ob es die fremde Wirklichkeit ist, welche verunsichert, oder vielmehr das Gefühl der Entfremdung in der eigenen Kultur.
Sherko Fatahs Romane (zuletzt: »Der letzte Ort«, Luchterhand, 2014), vermitteln Erlebnisse des Fremden und machen zugleich einen doppelten Perspektivwechsel bewusst: Es geht um den Gewinn von Abstand gegenüber Inszenierungen der Realität als vermeintliche »harte Fakten« und als pflegeleichte Unterhaltung. Artikuliert sich hier – in einer Zeit, in der das Verhältnis zur (Frage nach der) Wirklichkeit gespalten scheint – ein Wille zu neuer Aufklärung, dem sich Schriftsteller und Literaturwissenschaftler auf je eigene Weise verpflichtet fühlen sollten?
Mit dem diesjährigen Adelbert-von-Chamisso-Preisträger Sherko Fatah diskutieren Gesine Lenore Schiewer und Thomas Borgard vom Internationalen Forschungszentrum Chamisso-Literatur (IFC) an der LMU München und Gregor Dotzauer, Kulturredakteur des Tagesspiegel.
SHERKO FATAH wurde 1964 in Ost-Berlin als Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen geboren. Er wuchs in der DDR auf, 1975 siedelte er mit seiner Familie nach West-Berlin über. Dort studierte er Philosophie und Kunstgeschichte. Sein erzählerisches Werk wurde mehrfach ausgezeichnet. Den Adelbert-von-Chamisso-Preis 2015 erhält Sherko Fatah für sein bisheriges Gesamtwerk, insbesondere für seinen jüngsten Roman »Der letzte Ort«.
»Seine Bücher bereichern das interkulturelle literarische Schreiben durch ihre schonungslose Darstellung von Krieg und Terror«, heißt es in der Begründung der Jury. »Im Zentrum dieser intensiven Sprachkunstwerke stehen dabei stets das differenzierte Innenleben der Unmenschliches erleidenden Opfer und ihre niemals auszulöschende Hoffnung auf eine friedliche und humane Welt.«