Der erste Roman des Historikers Philipp Blom (»Der taumelnde Kontinent« u.a.) erzählt von zerplatzten Träumen und lebenslangen Lügen (Zsolnay Verlag).
Moderation: Judith Heitkamp (Bayerischer Rundfunk)
Büchertisch: Buch & Bohne
Veranstalter: Stiftung Literaturhaus
Eintritt: Euro 10.- / 7.-
»Marlene, meine Mutter, deine Großmutter, ist in der Post verlorengegangen. Nicht, weil sie sich in einem riesigen Bürogebäude verlaufen hätte, nicht, weil sie alt und verwirrt war. Sie wurde nicht alt, und sie war ganz klar bis kurz vor ihrem Ende, als das Morphium ihr waches Bewusstsein trübte. Nein, als ordentliche und versicherte Paketsendung ging sie verloren, ging die Urne mit der Asche verloren, die von ihr übrig geblieben war.
Deine Großmutter hätte diese Geschichte sicherlich komisch gefunden. Ich kann ihre Stimme hören, wie sie solche Sachen erzählte, alte, immer wieder aufpolierte Geschichten aus der Familie oder irgendwas, was sie im Radio gehört oder beim Friseur gelesen hatte, wo sie die Illustrierten nach Neuigkeiten über königliche Paare und ihre Familien durchkämmte (bis zu ihrem Tod war sie eine sentimentale holländische Monarchistin, sie liebte die Monarchie als etwas Schönes, so wie sie Hortensien liebte). Ich kann sie lachen hören, ein entferntes Echo des trompetenden Familienlachens. Sie liebte absurde Geschichten, und es hätte sie amüsiert, durch ihr Verschwinden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu bleiben. Sie ist buchstäblich nicht zu ihrem eigenen Begräbnis erschienen.« (LESEPROBE »Bei Sturm am Meer«)