Ré Soupault war bereits über 90 Jahre alt, als sie an ihrer ersten eigenen Ausstellung teilnahm. Das verloren geglaubte Werk der Fotografin – es umfasst ca. 1500 Negative und ca. 150 vintage prints – wurde erst Ende der 1980er Jahre von Manfred Metzner, Kurator der Ausstellung und Verleger (Das Wunderhorn), wiederentdeckt. 250 Arbeiten sind nun in einer großen Gesamtschau zu sehen. Die Retrospektive wird ergänzt durch Briefe, Übersetzungen und Textmanuskripte, die das bewegte Leben der Ré Soupault und ihre Bedeutung für die Künstler- und Intellektuellenszene der 20er und 30er Jahre widerspiegeln.
Ré Soupault, 1901 als Erna Meta Niemeyer in Ostpommern geboren, studierte als eine der ersten Frauen im Weimarer Bauhaus (1921–1925) bei Johannes Itten, Wassily Kandinsky, Georg Muche, Oskar Schlemmer und Paul Klee. 1923/24 stellte sie mit dem schwedischen Avantgarde-Filmemacher Viking Eggeling dessen Film »Diagonal-Symphonie« fertig. 1926 heiratete sie den Dadaisten Hans Richter, in ihrer Berliner Wohnung traf sich die internationale Avantgarde. In Paris lernte sie den Mitinitiator der Surrealismus-Bewegung Philippe Soupault kennen, den sie 1936 heiratete. Sie gehörte zum Pariser Künstler-Zirkel um Man Ray, Fernand Léger, Florence Henri, Gisèle Freund, Elsa Triolet, Helen Hessel, Max Ernst, Henryk Berlewi, Sonia und Robert Delaunay, André Kertesz und Alberto Giacometti.
Ré Soupaults Leben war geprägt von eigenwilligen Wegen, beruflich wie privat. Sie arbeitete als Modejournalistin für den Berliner Scherl-Verlag, u. a. für dessen Zeitschriften »Silberspiegel« und »Sport im Bild«, und auch als Korrespondentin in Paris. Nach diesen journalistischen Arbeiten, gründete sie in Paris 1928 das Modestudio »Ré Sport« und führt dies bis 1934. Sie entwirft Prêt-à-Porter, kleidet Frauen der Pariser Bohème ein und arbeitet eng mit Man Ray zusammen, der ihre Frühjahrs- und Herbst-Kollektionen fotografiert.
Philippe Soupault, zu dieser Zeit einer der bedeutendsten französischen Journalisten, überredete sie jedoch, seine Reportagen zu bebildern. Das Paar reiste fortan quer durch Europa, in die USA und schließlich nach Tunesien. Auf diesen Reisen entstandt das fotografische Werk Ré Soupaults. Sie arbeitete von Beginn an mit einer 6×6 und 4×4 Rolleiflex-Kamera und einer Leica.
Nach ihrer Trennung Mitte der 40er Jahre zog Ré 1948 nach Basel und arbeitete dort als Übersetzerin, unter anderem übertrug sie Lautréamont ins Deutsche. Und sie fotografierte wieder: Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre besuchte sie Deutschland und die Flüchtlingslager Ostvertriebener. In ihrem Nachlass finden sich eine Zeitungsserie und Fotografien dazu. Sie studierte erneut, diesmal bei Karl Jaspers. Mitte der 50er Jahre zog sie nach Paris, lebte dort Tür an Tür mit Philippe, dem sie stets verbunden blieb. Sie arbeitete dort bis zu ihrem Tod 1996 als Übersetzerin, Schriftstellerin, Filmemacherin, Hörspielautorin, Radio-Essayistin und Herausgeberin von Märchen-Anthologien.
Reportagefotografie, Portraits und Alltagsszenen bestimmen das Werk der Fotografin, das durch seine Geradlinigkeit, Klarheit, Vielfältigkeit und Zeitlosigkeit besticht. Kein Foto ist gestellt, »alles kam aus dem Leben« (Ré Soupault). Ré Soupaults Nachlass ist ein neu entdeckter kulturgeschichtlicher Schatz. Die Ausstellung zeigt eine Frau, die ein neues Frauenbild nicht nur gefordert, sondern konsequent gelebt hat.