Mi 18.1.17 // 20 Uhr // Saal
Klassiker des Monats

Marcel Proust. Briefe 1879–1922

Ein Abend mit Jürgen Ritte & Rainer Moritz

Lesung: Thomas Hauser (Münchner Kammerspiele)

Das Briefeschreiben war für ihn die Verbindung zur Welt: Für Marcel Proust, der häufig ans Bett gefesselt war, trat der Brief an die Stelle des persönlichen Gesprächs. In seinen Korrespondenzen erleben wir einen Autor, der mit seinem Verleger um jede Zeile seines Werkes kämpft. Wir erleben den Schmeichler, den Romantiker, den Zyniker.
Die erste umfassende deutsche Briefausgabe mit ihren annähernd 600 Briefen an Freunde, an die Mutter, an Schriftstellerkollegen, Gesellschaftsmenschen, Kritiker und Verleger dokumentiert aus Prousts unzensiert-privater Sicht seine ganze Entwicklung von den frühen literarischen Fingerübungen bis hin zur Vollendung der »Recherche« (Suhrkamp Verlag). Jürgen Ritte, Herausgeber und Literaturwissenschaftler an der Sorbonne, stellt seine Edition mit Proust-Kenner Rainer Moritz vor.

»An Jeanne de Caillavet [Kurz vor dem 4. Juni 1912]

Madame,

Wie man doch physisch entgegengesetzte Typen lieben kann. Denn ich habe mich jetzt in Ihre Tochter verliebt. Wie boshaft von ihr, so liebenswürdig zu sein, denn ihr Lächeln ist es, das mich verliebt gemacht und ihrer ganzen Person Bedeutung verliehen hat, und wenn sie mürrisch gewesen wäre, wie ruhig wäre ich jetzt. Ich versuche herauszufinden, was für eine Sorte Blumen Blütenblätter hat, die genau wie ihre Wangen sind, wenn sie lächelt. Ich möchte sie gern noch einmal lächeln sehen. Allerdings würde sie mir dann vielleicht eine Nase drehen: ein Symbol übrigens der Haltung ihrer Eltern mir gegenüber, und namentlich ihres vaters, dem ich die nettesten Dinge geschrieben habe, ohne dass er mir je geantwortet hätte. (…)«