Postkarten vom Schreibtisch

NEUIGKEITEN DER AUTOR*INNEN DER BAYERISCHEN AKADEMIE DES SCHREIBENS

Die Autor*innen, die aus unserer Schreibakademie hervorgegangen sind, schicken sie uns schon lange, die Postkarten vom Schreibtisch. Jetzt sollen sie an alle gehen. Was und wo ist dein Schreibtisch, was geschieht da? Auch diese Frage stellt sich (möglicherweise) neu. Homeoffice, aber das war es doch schon immer? Oder plötzlich Unterrichtsplatz für die Kinder? Und kann man dort noch Romane und Gedichte schreiben, in dieser dürftigen Zeit?
Hier kommt wöchentlich eine neue Antwort.

14. NORA ZAPF

Einschlafen. Was Neues sammeln, einen Tag, den anderen Tag, bzw. eher: eine Nacht, die andere Nacht: Träume sammeln. Dabei will ich aufpassen, es ist ein heikler Bereich, über den ist schon viel gesagt. Obwohl träumen aus wiederholen besteht, könnte man denken. Besonders fasziniert mich das Langgedicht »Erster Traum« von Sor Juana, einer mexikanischen Philosophin aus dem 17. Jahrhundert. Ein Versuch, das Gedicht neu zu übertragen und in unsere Zeit zu stellen: Eine Frau, die einschläft, träumt, aufwacht. Und während sie träumt, reflektiert sie Fragen der Logik, Mechanik, des Kosmos, der Körper. Dann wacht sie wieder auf. Mein neues Buch wird eines über Träume wie diesen. »Nächster Traum«. »Wer träumt in mir? Im Kopf, im Fuß? Wie tritt das Ferne auf, die Zukunft, das Feuer? Wie das bändigen? Und ich wieder wach.«

NORA ZAPF

NORA ZAPF ist vieles. Sie ist Lyrikerin und wurde als solche 2017 mit dem Literaturstipendium der Stadt München und 2019 dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Sie ist Literaturveranstalterin und hat zusammen mit Daniel Bayerstorfer und Tristan Marquard »Die drei lyrischen Ichs« und den «Großen Tag der jungen Münchner Literatur« aus der Taufe gehoben. Sie ist Romanistin, hat sich über Atlantische Lyrik promoviert und arbeitet  nun an der Universität Innsbruck an ihrer Habilitation. 2015 hat sie am Seminar für Lyrik mit Nico Bleutge und Karin Fellner teilgenommen, und 2017 war sie kurzzeitig Assistentin von Katrin Lange an der Schreibakademie, mit der zusammen sie 2019 den Band »Sreenshots. Literatur im Netz« (edition text + kritik) herausgegeben hat. In der Reihe »licht« erschien 2018 im gutleut verlag ihr Lyrik-Debüt »homogloben«.

 

13. STEPHANIE VON HAYEK

Als der Lockdown kam, konnte ich loslassen, das Manuskript, das mein zweiter Roman werden sollte. Ich habe es in die berühmte Schublade gelegt. Erleichterung. Erfahrung. In die Leere kamen dann andere Figuren hineinspaziert, ziemlich fröhlich und munter, sie beleben nun meine Tage. Daneben sind an meinem Schreibtisch zu Hause Artikel entstanden: über die Flussblindheit und die internationale Zusammenarbeit oder den Sog des Computerspielens. Vor sechs Wochen habe ich meinen Schreibtisch in meiner Bürogemeinschaft am Tiefen See wieder bezogen. Da ist die Aussicht schöner, aber die Kaffeemaschine schlechter.

STEPHANIE VON HAYEK

STEPHANIE VON HAYEK nahm 2017/18 an unserem Seminar »Historische Stoffe im Roman« unter der Leitung von Ulrike Draesner und Gunnar Cynybulk. »Als die Tage ihr Licht verloren« hieß ihr Romanprojekt, das 2019 bei Pendo erschien. Es ist die fiktive Geschichte zweier Schwestern in Berlin und die wahre Geschichte eines verhängnisvollen Euthanasietransports aus dem Jahr 1940. Stephanie von Hayek studierte nach einer Lehre als Buchhändlerin Politische Wissenschaften in München und Paris. Sie arbeitete als Referentin in internationalen Organisationen, unter anderem für die Weltbank in Washington D.C. und die europäischen Regionen in Straßburg. Sie lebt in Potsdam und schreibt als freie Journalistin für die Zeitschrift Kulturaustausch. Zeitschrift für internationale Perspektiven und die Berliner Zeitung.

 

12. BENEDIKT FEITEN

Als es losging mit dem Zuhausebleiben, befand sich mein Manuskript schon in einer ersten scheuen Gestalt. Damit hatte ich eine Richtung, in die ich weiter arbeiten konnte. Dass das Thema rechercheintensiver ist und der Ton anders als bei früheren Projekten, kam mir wie ein Wagnis vor, inzwischen bin ich froh drum. Jetzt liegt der Text bei ersten Lesern, ich wechsle zwischen Zeichnungen, Textfragmenten und Musikideen. Skizzen, die keine feste Form annehmen und das in dieser Zeit auch nicht müssen und sollen, finde ich. Ich zwinge sie jedenfalls nicht dazu. Während alldem bin ich im Home Office verschlingensieft, das aber leider nur äußerlich und ohne Ausstaffierung mit urgewaltiger, funkenschlagender Energie.

Benedikt Feiten

BENEDIKT FEITEN wurde schon 2005 mit einem Literaturstipendium der Stadt München ausgezeichnet, da war er erst 23 Jahre alt. 2012/13 nahm er an dem Romanseminar mit Thomas Lehr und Lina Muzur teil. Und 2016 erschien »Hubsi Dax. Eine Wirtshauslegende« (Voland & Quist), sein Debüt, das sich blitzsauber einfügt in die bayerische Tradition humoristische Sozialromane. Für seinen aktuellen Roman »So oder so ist das Leben« wurde er letztes Jahr wurde er mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Benedikt Feiten hat Amerikanische Literatur studiert und seine Doktorarbeit über Musik in den Filmen von Jim Jarmusch geschrieben. Neben seiner Arbeit als Redakteur spielt er als Trompeter und Cellist in verschiedenen Bands »my boys don‘t cry«.

 

11. MARTIN LICKLEDER

Ich würde gern eine Geschichte erzählen. Sie spielt im Wilden Westen und geht so:

Loreen feuert einen Schuss in die Luft. Cowboy Sonny scheucht daraufhin Loreen sowie drei andere kauzige Westerner unter seinen Riesen-Sonnenschirm, zum Schutz vor der großen, von ihm aufbebauschten Gefahr der herabfallenden Kugel. Als das Stück »Loreen schießt in die Luft« 2014 im Münchner »Kindertheater im Fraunhofer« uraufgeführt wurde, hatten Claudia und ich eine Art Slapstick-Version von »Warten auf Godot« (»Die Kugel kommt!«) im Sinn, mit aufklärerischer Botschaft: Misstraue denen, die dich mit Angst manipulieren wollen!

Nach um die 20 fröhlichen Aufführungen wurde es dann schwierig, beginnend mit den Anschlägen von Paris 2015: »Lass dir keine Angst machen« galt für uns zwar immer noch, aber mit einem Stück, in dem schon im Titel geschossen wird, wollten einige Schulen eher ungern etwas zu tun haben.

Doch das ist ja nun gar nichts gegen Corona. Das Virus hat den semantischen Pullover völlig auf links gedreht: Die Gefahr ist unsichtbar, aber keineswegs aufgebauscht! Angst ist richtig! List ist keine Lösung! Und stellt euch um Himmels Willen nicht so eng zusammen! Schon ehrfurchtgebietend, welche Karriere die Angst in diesen nicht mal sieben Jahren gemacht hat. Weil uns »Loreen schießt in die Luft« gerade selber so verwirrt, würden wir gern eine Fortsetzung schreiben: »Loreen niest in die Luft«. Aber, haha, wie soll man die aufführen?

Martin Lickleder

MARTIN LICKLEDER arbeitet seit 1998 als freier Autor, Musiker und Übersetzer in München, besonders gern gemeinsam mit Claudia Kaiser: An Romanen (»Im Reich der verlorenen Dinge«, Hagebutte Verlag 2019 – mit herzlichem Dank an das Jugendbuchseminar mit Tamara Bach & Beate Schäfer), Stücken (»Loreen schießt in die Luft«, 2014), Theatermusiken (»Zirkus Sardam« von Daniil Charms, 2016), Titelmelodien (»Animanimals«, Grimme-Preis 2019, Emmy-Nominierung 2020) oder auch Schallplatten (»More? Why Not! – An Angrammatical Exorcism of the 60s«, BB Island 2017). Er hat gemeinsam mit Andreas Hykade die von 2005 bis 2018 ununterbrochen im KiKa gesendete Animationsserie »TOM & das Erdbeermarmeladebrot mit Honig« geschrieben und dafür auch sämtliche Songtexte verfasst. 2019 erschien die 3. LP seiner Band Suzie Trio namens »Non c’è due senza tre« (Echokammer). Im Literaturhaus gibt er Schreibwerkstätten für Mittelschüler*innen München und an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg berät er Studierende des Animationsinstituts in Fragen zu Sprache und Sprachaufnahmen.

 

10. BJÖRN VEDDER

»Ich schaukle grad auf der Kinder-Arche durch die Corona-See. Die Arbeitszeit, die ich habe, verwende ich auf einen Essay, der an mein neues Buch ›Väter der Zukunft‹ anschließt. Es geht darin um die Frage, wie das Leben in der Familie so gestaltet werden kann, dass es nachhaltig ist. Er soll im September in einer Publikation der Andrea von Braun Stiftung erscheinen.«

Björn Vedder

»Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook«, das war das Buch, mit dem BJÖRN VEDDER 2014/15 an unserem ersten Sachbuch-Seminar mit Wolfgang Büscher & Stefan Bollmann teilgenommen hat und gleich ein ganzes Seminar mit seinen originellen Fragen entzündet hat. 2017 erschien es bei transcript (und wurde beim HerbstMix im Literaturhaus vorgestellt), gefolgt von einem Buch über den »Reichen Pöbel« (2018) und in diesem Frühjahr eines über die »Väter der Zukunft«. Björn Vedder ist vom Studium Philosoph und Literaturwissenschaftler. Er arbeitet als Kurator und Publizist und versucht in seinen Büchern, die Lebensfragen unserer Zeit philosophisch-essayistisch zu erschließen und zum Mitdenken einzuladen.

 

9. NADINE SCHNEIDER

»Die Stadt vor dem Fenster ist ein Dorf geworden. Es ist Sonntag, drei Polizeiwagen blitzen tonlos und man lehnt sich aus dem Fenster und schaut. In der sonst so donnernden Straße hört man Vögel zwitschern und wundert sich, dass es sie auch hier gibt. Dass die Stimmenlosen der Wochentage heute auf einmal singen. Dann läuten die Glocken einer Kirche, von der man nicht einmal weiß, wo sie steht. Selbst den Wind, der in die Bäume fährt, kann man hören. Und wäre nicht Sonntag, der Dorftag der Stadt, wäre auch nichts von dem Geschrei auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu hören, nichts davon, wie diskutiert und lautstark beschwichtigt wird. An jedem anderen Tag würde man sich bestimmt nicht, das Rückgrat gekrümmt vor Langeweile, aus dem Fenster lehnen, man würde sich schämen an jedem anderen Tag.  Aber wenn sonntags die Stadt zum Dorf wird, schaut man und nimmt dabei einen Schluck Kaffee, man schaut, wie drüben ein Recht oder ein Unrecht geschieht, und denkt jetzt schon, am frühen Morgen, über das Mittagessen nach.«

Nadine Schneider

Mit der Anfangsszene des Romans — die drei Freunde nachts im Maisfeld ganz nah der Grenze — wurde NADINE SCHNEIDER schon 2015 in ein Universitätsseminar unserer Schreibakademie aufgenommen und mit demselben Text, aus dem ein Romanprojekt erwachsen war, 2016/17 in das Romanseminar mit Annette Pehnt/Kristine Bilkau und Günther Eisenhuber berufen. Es muss eine lange innere Entwicklung genommen haben, die Geschichte von Anna zu erzählen, die die letzten Jahre der Ceaușescu-Diktatur in der rumänischen Provinz nahe der serbischen Grenze erlebt. Nadine Schneider, geboren in Nürnberg, ist studierte Musikwissenschaftlerin, lebt in Berlin und arbeitet dort am Theater. Mit »Drei Kilometer« (Jung und Jung Verlag) hat sie 2020 den Literaturpreis der Stadt Fulda gewonnen und steht nun auf der Shortlist des Vera Doppelfeld Preises.

 

8. STEFAN SPRANG

»Könnte längst weiter sein. Mit Henrys Sommer-Story. Damit, wie der pleitereife Versicherungsmakler versucht, per Facebook eine uralte Liebschaft (»Greta«, meine Namenswahl deutlich vor FFF) zurückzubaggern. Während ihn doch die forsche Vicki so klasse findet. Aber: Jede Zeile = Zweifel. Will so ein Ding, melancholisch wie heiter, überhaupt noch wer lesen, wenn es in einem Jahr erscheint? Wo es um Heimat geht und ambivalenten Enthusiasmus fürs Vergangene? Atmosphärisch, gedanklich, alles irre weit vorm verdammten Überthema 2020. Und auch diese Angst: Gibt‘s meinen kleinen Verlag 2021 noch? So fragend kaufe ich mir täglich Schreibschneid ab. Trotz großen Glücks: Keine Existenzsorgen als freier Hörfunkredakteur – aber eben viele kreative.«

Stefan Sprang

STEFAN SPRANG ist seit 1990 freier Hörfunkautor und -redakteur beim Hessischen Rundfunk, den er regelmäßig verlässt. Er schreibt für das Theater, ist ein großer Jazzliebhaber. Nichts im weiten Reich der Musik und Literatur, worüber man mit ihm nicht sprechen kann. 2011 erschien sein Debütroman »Fred Kemper und die Magie des Jazz«. 2018 wurde sein Theaterstück »helden: tot« vom Theater Essen Süd uraufgeführt. Mit seinem Romanprojekt über den jüdischen Operntenor war er eingeladen ins Seminar über Historische Stoffe im Roman unter Leitung von Ulrike Draesner und Gunnar Cynybulk. 2019 erschien er unter dem Titel »Ein Lied in allen Dingen. Joseph Schmidt« (Größenwahn Verlag). Stefan Sprang findet darin einen sympathetischen Ton für das Schicksal und die Schlager dieses Sängers.

 

7. ANGELA LEHNER

»Hauptsächlich esse ich. Am liebsten ungesunde Zuckermüslis von Großkonzernen. Pro Tag esse ich zwischendurch ungefähr eine Packung von diesen nougatgefüllten Miniatur-Müslikissen. Eigentlich sollen die in eine Schüssel mit Milch, aber dazu fehlt mir die Geduld. Die Nougatkissen leere ich neben mir direkt auf den Schreibtisch, wenn ich die Hand in einer Schreibpause auf der Tischplatte ablege, stören mich die Krümel. Ich befinde mich in den Endzügen meines Aufenthaltes im Stuttgarter Schriftstellerhaus. Hier arbeite ich angeblich an meinem zweiten Roman. Die Corona-Angst erfasst mich wie den Großteil der Menschen in Wellen. Manchmal liege ich nachts wach und beruhige mich mit dem Gedanken, dass ich es noch gut getroffen habe, dass alles wieder wird. Manchmal gelingt mir das Beruhigen nicht.«

ANGELA LEHNER

ANGELA LEHNER war noch Literaturwissenschaftsstudentin in Erlangen, als sie 2015 an den Universitätsseminaren der Bayerischen Akademie des Schreibens teilgenommen hat. Dort entstanden schon erste Textteile ihres Romans »Vater unser«, den sie mit einem Stipendium für die Romanwerkstatt des Literarischen Colloquiums in Berlin weiter diskutiert und fertiggestellt hat. Eine beharrliche Arbeit, die von außen wie ein Durchstart wirkt: 2019 erschien der Roman bei Hanser Berlin und wurde unter anderem gleich mit dem Rauriser Literaturpreis und mit dem Österreichischen Buchpreis für das beste Debüt ausgezeichnet. Im Moment arbeitet sie an ihrem zweiten Roman, der sich mit einer Gruppe Jugendlicher im Dorf beschäftigt.

 

6. MICHAELA MARIA MÜLLER

»Der Tag am Schreibtisch beginnt jetzt früher als sonst. Ich stehe um fünf Uhr auf, um an meinem nächsten Roman zu arbeiten. Mein Buchtagebuch, das mich beim Schreiben begleitet, notiere ich auch viel über den neuen Alltag. Tagsüber jongliere ich die Zeit in kleinen Einheiten. Zu Hause arbeiten, telefonieren, Menschen bei Videokonferenzen begegnen und das tägliche Lernen mit meinem Kind. Tatsächlich macht mir grade Mathematik Spaß: einfach ein Problem auf dem Papier lösen zu können.
Ich bin in dem Anderssein noch nicht angekommen. Die Tage sind gleich. Mit der Wiederholung kann ich gut leben. Aber es bleibt die Unsicherheit, was danach kommt. Ich öffne jeden Tag einen Glückskeks und die besten Botschaften bewahre ich auf.«

MICHAELA MARIA MÜLLER

Manche Autoren entwickeln ihre Stoffe ganz aus der Sprache, für andere ist der Bezug zur gesellschaftlichen Realität maßgebend, denn auf die wollen sie einwirken. Zu letzteren gehört MICHAELA MARIA MÜLLER, die als Journalistin bei den Dachauer Nachrichten begann und bald weit in die Welt kam. Ein Schwerpunkt ihres Engagements als politische Korrespondentin und Veranstalterin sind Afrika und seine Flüchtlinge. Mit »Auf See. Die Geschichte von Ayan und Samir« (Frohmann Verlag) nahm sie 2015 am ersten Sachbuch-Seminar der Schreibakademie unter Stefan Bollmann und Wolfgang Büscher teil. Dem Nachwirken von Krieg und Holocaust gelten jüngste Essais im MERKUR. Und das neuste Buch ist wirklich ein Buch des Tages für jede*n von uns: »Kochen mit Zukunft. Rezepte für ein gutes Klima« (mikrotext).

 

5. KATJA BOHNET

»Schreibtisch, Esstisch, Lesetisch, Kunsttisch, Schultisch, Basteltisch, Malertisch, Küchentisch, Gartentisch. Du Tisch, der alles kann! Ein Buch verstarb an einer Corona-Infektion. Ein neues wird geboren. Die Schwester mit dem Waffenschrank, der Schulfreund in Uniform, die Malerin, die niemand kennt. Die Giftmischerin. Sie ist, ich bin Alice im Wunderland. Suche die Nähe derer, die ich liebe. Meine Kinder, meine Figuren. Kenne trotz Kontaktverbots keine Einsamkeit. Verlasse kaum das Haus und bin doch überall.«

Katja Bohnet

»Komm näher und tritt ein. Ich bin nur eine harmlose Schriftstellerin und stehe auf Spannungsromane und saure Pommes. Wenn Besuch kommt, koche ich Kaffee. Nimmst du deinen mit Zucker, Milch oder Arsen?« So begrüßt uns KATJA BOHNET auf ihrer Homepage. Als sie 2014 in das Krimiseminar mit Zoë Beck und Thomas Wörtche kam, hatte sie schon einen Buchvertrag in der Tasche. Seither hat sie fünf Romane veröffentlicht, die mit Rasanz und einer gehörigen Dosis Pulp Fiction in die Welt des Verbrechens, aber auch auf Bestenlisten und zu Glauser-Preis- Nominierungen führen. Das jüngste Werk heißt »Fallen und Sterben« (Knaur). Katja Bohnet lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in der hessischen Provinz.

 

4. DAVID BLUM

»Ich fühle mich, ehrlich gesagt, etwas überflüssig dieser Tage, in denen so viel über Systemrelevanz gesprochen wird. Der Verlag, bei dem ich als Redakteur arbeite, hat Kurzarbeit angemeldet. Mein Reisebuchverlag hat die Produktion komplett gestoppt. Geblieben sind Spaziergänge im Park vorbei an abgesperrten Spielplätzen, die Arbeit an meinem Roman und ein Blog über Autor*innenschaft und Elternschaft, das ich seit Februar zusammen mit Katharina Bendixen und Sibylla Vričić Hausmann betreibe. Und manchmal komme ich dabei nicht umhin, an eine Vogeltränke zu denken.«

David Blum

DAVID BLUM hat 2016 an einem Kurzgeschichtenseminar unter der Leitung von Franziska Gerstenberg und Günther Eisenhuber teilgenommen. Er studiert seit 2015 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und schreibt an seinem ersten Roman, für den er u.a. ein Arbeitsstipendium vom Land Brandenburg erhielt. Der Roman spielt im brandenburgischen Amateurfußballmilieu Anfang der 2000er Jahre: Ein alternder Fußballspieler träumt davon, ein Tor in einem Profispiel zu schießen. Er hat seinen Verein nach oben gebracht, doch kurz vor dem ersehnten Aufstieg läuft alles gegen ihn. Ein Auszug ist in der Anthologie »Herz & Rasen. 11 Kurzgeschichten über Fußball« (Tropen Verlag) erschienen.

 

3. FRANZISKA HAUSER

»In dieser Ratlosigkeit überkommen mich absurde Empfindungen. Bei dem Vorhaben, eine Postkarte an das Literaturhaus München zu schreiben, habe ich plötzlich eine solche Sehnsucht nach dieser Treppe. Eine ganz unverhältnismäßige Sehnsucht, die wirklich albern wirken würde, hätten wir diese Lage nicht. Mein Kummer bläst sich auf und wird so riesig wie dieses riesige Treppenhaus, in das ich jetzt dringend hineinlaufen will, wie in geöffnete Arme, die mich in einem gigantischen Brustkorb bergen. Ich will sofort diese sprechenden Stufen hinauf laufen, am liebsten barfuß, wie ich es in der Mittagshitze gemacht hatte, mit meinen hochhackigen Holzsandalen in der Hand, um schneller zu sein und um das kühle Holz auf der Haut zu spüren. Stattdessen sitze ich am Berliner Fenster, sehe unten Kinder mitten auf der leeren Fahrbahn durch Nieselregen spazieren und weiß, es ist ja nicht die Treppe, sondern die ganze Vergangenheit, nach der ich mich jetzt sehne.«

Franziska Hauser

FRANZISKA HAUSER kommt aus einer Künstlerfamilie, deren Geschichte Vorlage für »Die Gewitterschwimmerin« war. Mit diesem Roman nahm sie 2015-16 an der Romanwerkstatt unter Angelika Klammer und Karl-Heinz Ott teil. 2017 erschien er im Eichborn Verlag und wurde 2018 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Seit ein paar Wochen gibt es nun »Die Glasschwestern« (ebenfalls Eichborn), ein Roman über zwei ungleiche Schwestern und deren Versuche, die eigenen Verhaltensmuster zu ändern. Ein Generationenroman aus dem ehemaligen Grenzgebiet, der alte Geschichten, Geheimnisse und Lügen zutage fördert. Franziska Hauser ist eine vielseitige Künstlerin, sie ist Autorin und Fotografin, studierte Bühnenbild, Freie Kunst und Fotografie und hat zwei Kinder.

 

2. SIMONE SCHARBERT

»Mein Schreibtisch ist mittlerweile eine Couchpapierlandschaft, inmitten von Kindern, einem verrückten Alltag und dem Versuch, am neuen Projekt zu arbeiten – eine Frauengeschichte während der 50er Jahre, angesiedelt in der damaligen Nervenklinik Haar, die Sprache: lyrisch dicht; eine Kombination von Innen- und Außensicht. Inmitten von alldem auch, die Logbuch-Idee: Jeden Tag eine Papier-Wort-Collage, die mal mehr, mal weniger gut klappt. Und: Zuversicht.«

Simone Scharbert

SIMONE SCHARBERT hat 2015 an einem Seminar für Lyriker teilgenommen, das von Nico Bleutge & Karin Fellner geleitet wurde. Ihr erster Lyrikband »Erzähl mir vom Atmen« erschien 2017 bei Ranis. Im Herbst 2019 erschien »du, alice« im Azur Verlag, eine Selbstanrufung von Alice James, der Schwester des Autors Henry James und des Philosophen William James, der ein Leben lang Schreiben und Bildung verwehrt waren — und die doch mit andern Frauen eigene, subversive Wege fand und zu einer Ikone des frühen Feminismus wurde.  Ein im Wortsinne atemberaubendes Buch. Auf ihrer Homepage findet man gerade einen Strauß von Collagen, die uns in diesen Tagen Freude machen sollen, nur das.

 

1. NAVA EBRAHIMI

»Mein Schreibtisch ist ein Wanderzirkus. Ich ziehe von Platz zu Platz, die Kinder hinterher. Nicht, dass ich zum Schreiben käme, aber es gibt viel zu tun in diesen Tagen. Videolesungen, Podcasts, Live-Gespräche, Corona-Tagebücher – jetzt alles neu in meinem Bauchladen. In dem Zirkuszelt lebt übrigens Batman. Ich sehne mich nach der Ordnung vergangener Tage.«

Nava Ebrahimi

NAVA EBRAHIMI ist in Teheran geboren, hat in Köln studiert und 2013/14 an dem Romanseminar unter Christiane Schmidt und Christoph Peters teilgenommen. Für ihren ersten Roman »Sechzehn Wörter« erhielt sie u.a. 2017 den Debütpreis des Österreichischen Buchpreises.
Nun ist ihr zweiter Roman »Das Paradies meines Nachbarn« (btb) erschienen. Auch er bewegt sich in dem kulturell und politisch so relevanten Spannungsfeld zwischen Europa und Iran. Der in Deutschland lebende Star-Designer und ehemalige Kindersoldat Ali Najjar glaubt seine Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben, bis er eine Nachricht aus Iran erhält … Über das wunderschöne petrolfarbene Cover flattert ein Schwarm Möwen — Aufregung und Verheißung.