DEMOCRACY FOR PEACE

Ein Essay von Frido Mann

In der gegenwärtigen Krise der Demokratie taucht immer wieder die Behauptung auf, dass unsere Demokratie am Ende sei. Das ist grundfalsch. Denn diese Demokratie hat in Wirklichkeit noch gar nicht richtig begonnen. Es gibt im Zuge der fortschreitenden Weiterentwicklung der menschlichen Spezies im Zeitalter der Aufklärung bisher kaum mehr als ein Konzept von Demokratie, vor allem auf dem geduldigen Papier der Verfassung der betreffenden Staaten. Und es gibt zweifellos auch immer wieder gelungene Versuche der Realisierung. Nach den Vorformen in den Stadtstaaten der griechischen und römischen Antike sind diese Versuche so richtig erst in der frühen Neuzeit vor allem in den angelsächsischen Ländern und dann erst sehr spät auf dem europäischen Festland mehr oder weniger erfolgreich zum Einsatz gekommen. Bemerkenswerterweise haben es die beiden ältesten, über Jahrhunderte recht stabil gebliebenen angelsächsischen Demokratien gerade in letzter Zeit versäumt, sich im Zuge der gegenwärtigen globalen Umbrüche von einigen ihrer inzwischen überholten Strukturen und Denkweisen zu verabschieden und sich überfälligen Reformen zu stellen. Damit sind sie in eine, ihre eigene demokratische Tradition gefährdende, politische Sackgasse und damit in eine nationale Existenzkrise geraten, aus der es im Augenblick kein Entkommen zu geben scheint und in die die ganze Welt mit hineingezogen zu werden droht.

Ich denke, wir Menschen werden nur äußerst langsam reif für die Nutzung unserer Freiheit im Dienste des kostbaren, aber überaus anfälligen Systems unserer jungen Demokratie. Und dieses Pflänzchen gilt es wachstumsfördernd zu pflegen und vor antidemokratischen Übergriffen zu schützen. Auch die zunehmend politikverdrossenen Schichten unseres Bürgertums brauchen im weitesten Sinne eine unermüdliche, vertrauensbildende Aufklärung. Dieser Lernprozess kann nicht früh genug in Familie und Schule einsetzen. Von einer gegen Zerstörungsversuche resistenten demokratischen Ordnung sind wir noch meilenweit entfernt.

Die Voraussetzung für den Aufbau oder Umbau eines freiheitlich demokratischen Systems ist es natürlich, sich erst einmal darüber klar zu werden, wem diese Maßnahmen dienen sollen, für wen sie bestimmt sind. Dazu gehört es als erstes, den Menschen, seine Bedürfnisse und seine Fähigkeiten und Grenzen in seiner jetzigen Entwicklungsphase zu ergründen und zu verstehen. Und so wie die heutige Demokratie in den Kinderschuhen dem gegenwärtigen, noch sehr mittelprächtigen Entwicklungsstand des Menschen entspricht, wird sie sich mit diesem Menschen und aus diesem heraus hoffentlich noch erfreulicher und solider als jetzt weiterentwickeln. Ohne Demokraten keine Demokratie.

Und so wie wir Menschen dabei die für uns selbst geschaffenen technologischen Errungenschaften im Blick behalten müssen, damit sie nicht wie Zauberlehrlinge außer Kontrolle geraten, müssen wir auch den Zauberlehrling in uns selbst in Schach halten. Heinrich Mann hat einmal in seinem trotz aller Skepsis hochherzigen Optimismus gesagt: Ich bin davon überzeugt, dass aus der Menschheit irgendwann einmal noch etwas Anständiges werden kann.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das Wort ›Liebe‹ anführen. Ich meine nicht die mit dem kirchlichen Zeigefinger angemahnte Liebe, sondern die, die wir Menschen alle fundamental brauchen und die wir uns darum immer wieder, leider nur viel zu wenig, gegenseitig zu geben versuchen und die gerade heute wieder besonders gefährdet ist durch Feindbilder, Hass und Vernichtungsphantasien. Sie ist die lebenswichtige Grundlage jeder »Begegnung«, das Fundament unseres freien Miteinanders im weitesten Sinne.

Sollten wir, liebe Mitdenkende und Mitfühlende, deshalb nicht die uns geschenkte Möglichkeit dieses Miteinanders dafür nutzen, unsere hier erst vor kurzen 70 oder 100 Jahren begonnenen Demokratisierungsversuche sehr viel weiter auszubauen? Und besonders nach meinen Erfahrungen in den USA betone ich: immer zusammen mit der sich glücklicherweise immer lautstärker bemerkbar machenden jungen Generation im Rücken. Denn gerade diese Generation spürt am ehrlichsten, am klarsten und am drängendsten, dass Begriffe wie »Verständnis« und »Wertschätzung« allein leere Worthülsen sind und dass es auf die mühsame, praktische Kleinarbeit auf der Basis authentischer Überzeugungen ankommt, auf Identität und Respekt, auf Schutz, Erhaltung, und – nochmals – auf lebensnahe Liebe.

Wollen wir nicht unsere eigenen Pioniere sein beim Aufbau einer liebenswerteren Welt – davon unbeirrt, was uns von überallher und insbesondere seitens unserer bisherigen amerikanischen Partner am 3. November 2020 und danach alles ins Haus stehen mag?

© Literaturhaus München

(Dieser Text wurde im KATALOG zu unserer Demokratie-Ausstellung* veröffentlicht und basiert auf einem Vortrag, den Frido Mann auf den Spuren der Vortragsreisen seines Großvaters Thomas Mann 2019 an zahlreichen Orten in den USA und Kanada hielt.)

FRIDO MANN arbeitete nach dem Studium der Musik, der Katholischen Theologie und der Psychologie viele Jahre als klinischer Psychologe in Münster, Leipzig und Prag. Er lebt heute als freier Schriftsteller in München. 2018 erschien sein Buch »Das Weiße Haus des Exils« im S. Fischer Verlag.

* THOMAS MANN: »DEMOCRACY WILL WIN!«
28.5.20 – 6.1.21
SOMMERPAUSE: Vom 27.7. bis zum 2.9. bleibt die Ausstellung geschlossen.
Eine AUSSTELLUNG des Literaturhauses München in Kooperation mit dem Thomas Mann House, Pacific Palisades // gefördert vom Auswärtigen Amt, Berlin
#democracywillwin

 

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