Kennenlernen

Das erste Seminarwochenende der Bayerischen Akademie des Schreibens

Menschen lernen sich kennen. Was passiert da genau? Vordergründig ist das vielleicht nur eine beiläufige Begebenheit, aber sie könnte einen großen Möglichkeitsraum eröffnen. Eine Kennenlern-Szene sollten die Studenten als Bewerbung für unseren Kurs der Bayerischen Akademie des Schreibens verfassen – am ersten Kurs-Wochenende ist dann die Vielfalt der einzelnen Etappen des Kennenlernens und Zusammenraufens aufs Schönste zu beobachten.

Eine erstaunliche Bandbreite an Studienfächern, an Erfahrungen mit dem eigenen Schreiben und anderen Künsten, an Lebensläufen und Erwartungen: Wie kommt man von da aus ins gemeinsame Sprechen über und Arbeiten an den eigenen Texten, konzentriert und verspielt, unerbittlich aber solidarisch in der Kritik und zugleich haltlos ermunternd zum ständigen Verbessern und Ausprobieren?

Es hilft, wenn man eine Geschichte auch mal rappt, wenn man den eigenen Stil gegen das Licht so seltsamer Begriffe wie »Musikalität« oder »Eleganz« hält. Wenn sich die eigene Intention gegen unerwartete (und vor allem: unintendierte) Lesarten behaupten muss. Und wenn im Nebenraum des schönen Bayreuther Iwalewa-Hauses plötzlich ein Film der ständigen Ausstellung losgeht, so dass man die schillernd monströse Szenerie, wie sie uns einer der Texte mit der in einer lebensgroßen Champagnerflasche ausgestellten Stripperin anbietet, mit angemessener Schreierei diskutieren muss.

Und es hilft, wenn man erlebt, wie sehr man Texte mögen kann. Wenn zum Beispiel unser Gastgeber und Organisator des Bayreuther Wochenendes, der Literaturprofessor Martin Huber, bei der Lesung meiner Mit-Leiterin Teresa Präauer so fein amüsiert von seiner Lieblingsszene aus dem Roman »Für den Herrscher aus Übersee« (Wallstein Verlag) spricht. Der Großvater und die abgestürzte japanische Fliegerin wälzen sich durchs Gras. Romantisch, könnte man mit dem Großvater denken. Aber in Wahrheit schreiben sie das »SOS« in die Wiese, das dazu führen wird, dass der Großvater bald ohne die Japanerin ist. Merke: auch ein irgendwie missglücktes Kennenlernen kann zu großartigen poetischen Kollateralnutzen führen!
Habt ihr euch eine Autorin und einen Lektor so vorgestellt, fragt Teresa am Ende der Bayreuth-Tage. Absolut, sagen die Studenten, und wir wissen nicht genau, ob das ein Kompliment ist oder eher schlimm. Das Kennenlernen hat gerade erst begonnen …

© Olivier Favre

MARTIN MITTELMEIER (Jahrgang 1971) arbeitete viele Jahre in renommierten deutschen Literaturverlagen und ist seit 2014 als freier Lektor und Autor tätig. Gerade ist von ihm im Siedler Verlag »DADA. Eine Jahrhundertgeschichte« erschienen. Zusammen mit der Autorin Teresa Präauer leitet er zu Zeit das Seminar »Kennenlernen« der Bayerischen Akademie des Schreibens für Studierende der Universitäten Bayreuth, TU München & Regensburg.

DIE BAYERISCHE AKADEMIE DES SCHREIBENS
Die Bayerische Akademie des Schreibens bietet Seminare für Studierende der bayerischen Universitäten Bamberg, Bayreuth, Erlangen, LMU München, TU München und Regensburg. Diese Universitäten haben sich mit dem Literaturhaus München zusammengeschlossen, um jährlich zwei parallele Kurse für Studierende anzubieten, unterstützt vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst.
Darüber hinaus werden Seminare für junge Autoren (bis 40 Jahre) in den verschiedensten literarischen Genres veranstaltet.