Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wollen das Freihandelsabkommen mit den USA bis zum Ende des Jahres abschließen. Viele Bürger und Organisationen kämpfen seit Monaten gegen TTIP. Aber ist eine normale Diskussion möglich, wenn die Verhandlungen zur Festlegung dieser neuen globalen Handelsarchitektur im Geheimen geführt werden?
In Deutschland und Europa wächst der Widerstand gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen den USA und der Europäischen Union, nur noch 39% der Deutschen sind für dieses Abkommen.
THILO BODE, ehemaliger Geschäftsführer von »Greenpeace International« und Gründer der Verbraucherschutzorganisation »Foodwatch«, schildert in seinem brandaktuellen Buch »TTIP. Die Freihandelslüge« (DVA-Sachbuch), wie TTIP Verbraucherrechte und Umweltstandards gefährdet. Das Buch erscheint am kommenden Montag im Handel.
Thilo Bode stellt seine Thesen am 19.3. bei uns im Literaturhaus München vor. Und diskutiert sie mit Wirtschaftsredakteur [&] New York-Korrespondent NIKOLAUS PIPER (Süddeutsche Zeitung). Piper verteidigt das Freihandelsabkommens, sieht die Chancen für Europa aber auch die Notwendigkeit seitens der Politik gegenüber der Bevölkerung für mehr Klarheit [&] Transparenz zu sorgen und fordert von den Verhandlungspartnern mit äußerst präzisen Formulierungen dem Missbrauch vorzubeugen.
Das Gespräch moderiert Ursula Heller, langjährige Radio- und Fernsehmoderatorin (»Münchner Runde«).
Was bedeutet TTIP z.B. für die Kultur? Bisher wurde stets beteuert, dass die »kulturelle Ausnahme« auf jeden Fall verteidigt werde, also auch in Zukunft Einschränkungen des Wettbewerbs und Subventionen in der Kultur möglich seien. Dennoch hat z.B. die Literaturszene Angst um die festen Buchpreise, die in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben sind, Münchner Buchhändler protestierten bereits gegen das Handelsabkommen.
DISKUTIERE SIE BEREITS VORHER MIT UNS ÜBER DAS FÜR UND WIDER VON TTIP!
Was macht Ihnen am meisten Sorgen?
Wir freuen uns über Ihre Kommentare!
DO 19.3.15
TTIP: DIE FREIHANDELSLÜGEGESPRÄCH MIT THILO BODE & NIKOLAUS PIPER
Moderation: Ursula Heller (BR)
TIPP: Am kommenden Sonntag (8. März) ist Stefan Weidle (Vorstand der Kurt Wolff Stiftung) um 17.05 im Deutschlandfunk in der Sendung Kulturfragen im Gespräch mit Karin Fischer über den Deutschen Buchhandlungspreis, TTIP, Internethändler und schöne Bücher.
Ich lese gerade die Zeitungen vom Wochenende. Ja, ich weiß, es ist bereits Dienstag. Meine Entschuldigung: viel Arbeit, viel spannende Anfragen und Zuschriften, u.a. in Sachen TTIP bzw. zur Veranstaltung mit Thilo Bode bei uns im Literaturhaus, und die ganzen ausführlichen Buchmessebeilagen in allen Zeitungen. Also viel Lesestoff. Aber gerade stolpere ich über einen Satz im “Tagesspiegel” vom Sonntag, dem 8. März. Da steht auf der Meinungs-Seite unter der Rubrik “Ein Wort zum Sonntag” ein Zitat von Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender von Siemens, der während einer Diskussion zum Thema “TTIP” in der Bayerischen Akademie in Tutzing sagte: “Da esse ich lieber ein Chlorhuhn, als so eine Chance verstreichen zu lassen.”
Lieber Herr Kaeser!
Ihre Aussage beinhaltet, dass wirtschaftlicher Fortschritt offenbar um jeden Preis angestrebt werden muss. Auf einen wirtschaftlichen Fortschritt jedoch, der zu Lasten des Menschen geht (ein Chlorhuhn zählt definitiv nicht zu einer gesunden Ernährung) und zu Lasten der Tiere (ein Chlorhuhn wurde definitiv nicht artgerecht ernährt), verzichte ich gern. Oder anders ausgedrückt: Ich strebe wirtschaftlichen Fortschritt an. Doch das, was Sie formulieren, macht mir Angst.
Herzliche Grüße
Marion Bösker
Ob Herr Kaeser das liest?
Vermutlich nicht…..
Warum ist es eine Chance für Europa geschätzte „neue“ 400.000 Arbeitsplätze in 10 Jahren zu schaffen, wenn gleichzeitig viel mehr Arbeitsplätze wegfallen werden.
400.000 Arbeitsplätze auf alle europäischen Länder verteilt sind unbedeutend. Die auf bis zu 81.000 gschätzten neuen Arbeitsplätze für Deutschland in 10 Jahren sind in Prozent aller jährlich geschaffenen Arbeitsplätzen so wenig, dass Deutschland das locker in einem Jahr ohne TTIP schafft.
Der kritische Punkt ist: Die maximal 400.000 neuen Arbeitsplätze stellen nicht die Zahl dar, die am Ende des betrachteten Zeitraums als Plus an Arbeitsplätzen herauskommt. Denn es ist nicht der Saldo von neuen und weggefallenen Arbeitsplätzen. Im Gegenteil: Durch TTIP&Co ist zu befürchten, dass sehr viele Arbeitsplätze in unserer Heimat verlorengehen, weil die USA mit ihren niedrigeren Standards in nahezu allen Bereichen (Arbeitnehmerschutz, Verbraucherschutz) z.B. Agrar- und Fleischprodukte erheblich günstiger herstellen.
Wir müssen befürchten, dass sämtliche Erfolge der letzten Jahrzehnte im Bereich Umweltschutz, Verbraucherschutz und Arbeitnehmerschutz gefährdet werden.
Besonders wichtig ist mir, dass der Aspekt des Arbeitnehmerschutzes nicht vergessen wird. Durch die Abkommen müssen Standards des anderen Landes anerkannt werden. Die USA haben geringere Arbeitnehmerschutzstandards. Arbeitnehmerschutz ist ein nicht-tarifäres Handelshemmnis für US-amerikanische Unternehmen. Übernimmt eine US-amerikanische Firma ein deutsches Unternehmen oder wird bei uns tätig, muss es sich nicht an unsere Regeln halten, wenn die Standards in den USA niedriger sind. Wer von uns findet TTIP/Co dann noch gut, wenn er plötzlich nicht mehr zum Jahresanfang seinen Anspruch auf ca. 5-6 Wochen Urlaub bekommt. Was sagt der Einzelne, wenn er plötzlich nicht mehr unbegrenzt krank sein darf, sondern stattdessen gekündigt wird? Was sagen wir, wenn plötzlich keine Versicherungsleistungen unserer Arbeitgebers mehr abgeführt werden, nur weil es ein US-amerikanisches Unternehmen ist, das sonst Gewinnverluste hat?
Im Prinzip stellen die Freihandelsabkommen jegliche Weiterentwicklung unserer Gesellschaft insbesondere zugunsten von Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Arbeitnehmerschutz in Frage. Denn nahezu immer leiden bei Veränderungen (z.B. durch neue Gesetze) die Gewinne irgendwelcher Unternehmen. Die haben durch die Freihandelsabkommen aber die Möglichkeit, die Staaten wegen des absebaren Gewinnverlusts zu verklagen. Soll unsere Gesellschaft erstarren, nur weil sonst die Gewinne gegenwärtiger Unternehmen gefährdet werden? Wir würden heute noch wie im Mittelalter leben, wenn nicht bestimmte Techniken und Berufe ausgestorben wären wegen des Fortschritts.
Wir sollten alle aus den Fehlern der Vergangenheit lernen bzw. uns die Erfahrungen anderer zunutze machen. Es gibt schon Vorgänger dieser Freihandelsabkommen (mit der Investorenschutzklausel) zwischen anderen Ländern und diese sind durchwegs schlecht.
Es gibt das Alternative Handelsmandat, das von 50 weltweit aktiven Nichtregierungsorganisationen erarbeitet wurde. Inzwischen haben sich auf globaler Ebene rund 400 Organisationen auf verbindliche Regeln für den Fairen Warenaustausch verständigt. Ein Rahmen, den sich inzwischen auch Entwicklungshilfeminister Gerd Müller wünscht. Die derzeitigen TTIP-Verhandlungen mit den USA gehen (noch) in eine völlig andere Richtung. Auch bei vielen anderen Handels- und Investitionsschutzabkommen spielten Mensch & Planet keine Rolle.
Menschen, die sich schon ein paar Jahre mit kommunaler Politik beschäftigen, können sicher darüber berichten, wie ihr Gestaltungsspielraum immer mehr eingeschränkt wird. Auch unsere Landwirtschaft wird immer mehr zum Spielball der Konzerne und unsere Kulturlandschaften verschwinden. Unsere lokalen Betriebe, besonders das klassische Lebensmittelhandwerk, verliert immer mehr Marktanteile an dominante Großkonzerne, die Gewinne so verschieben, dass am Ende kaum mehr Steuern bezahlt werden müssen – gleichzeitig aber die gesamte Infrastruktur nutzen.
Interessant dürfte auch sein, dass der technische Fortschritt und neue Technologien uns nicht freier machen. Wirtschaftswachstum und das gute Leben haben anscheinend nichts miteinander zu tun. Und wo wollen wir noch hinwachsen?
Beenden wir diesen neoliberalen Unsinn und beginnen über das gute Leben und Wirtschaften nach zu denken.
Es gibt übrigens einen weiteren spannenden Buch-Beitrag zum Thema TTIP: Franz Kotteder, Autor der Süddeutschen Zeitung, argumentiert in seinem Buch “Der große Ausverkauf: Wie die Ideologie des freien Handels unsere Demokratie gefährdet. – Das TTIP-Komplott” (Ludwig Verlag) sehr scharf gegen das Freihandelsabkommen. Hier geht’s zu den Verlags-Seiten: http://www.randomhouse.de/Paperback/Der-grosse-Ausverkauf/Franz-Kotteder/e472396.rhd – das Buch ist übrigens gerade erst erschienen, ein brandaktueller Beitrag zur Debatte also!
Ich hätte zwar kein Chlorhuhn, aber doch einen Besen gefressen, wenn der Siemens-Kaeser nicht fürs TTIP gewesen wäre. Fragt sich halt, ob die Chancen, die sich Kaeser ausmalt, auch für den Rest der Menschheit Chancen sind oder nicht eher Drohungen? Die anstehenden Freihandelsabkommen in ihrer jetzigen Form stellen jedenfalls eine teilweise Abschaffung der Demokratie dar zugunsten des reinen Profits. Dafür kann man nur sein, wenn einem der reine Profit über alles andere geht.
Wenn private Schiedsgerichte im Auftrag von Konzernen Staaten zu Schadenersatz verurteilen lassen können – wer wird dann mit der Durchsetzung beauftragt? Machen das dann logischerweise Privatarmeen?
Sonst könnten betroffene Staaten ja einfach die Schreiben der Schiedsgerichte im Ordner “Lol” abheften…
Mir macht das Angst. Und zwar richtig.
Liebe Frau Bösker,
Sie tun, meine ich, Herrn Kaeser und dem Chlorhuhn unrecht. Ich esse auch lieber ein Chlorhuhn, denn das ist garantiert frei von Salmonellen. Und über die Art der Aufzucht sagt Chlor oder Nicht-Chlor gar nichts aus. Wir sollten über den freien Handel frei von Vorurteilen diskutieren, finden Sie nicht?
Beste Grüße
Adrian Dunskus
Hier noch der erwähnte Beitrag von Stefan Weidle (im Gespräch mit Karin Fischer) über “Geistige Tankstellen der Kulturlandschaft”
http://www.deutschlandfunk.de/deutscher-buchhandelspreis-geistige-tankstellen-der.911.de.html?dram:article_id=313646