Lesungskritik: Vom Fetisch, die Stecknadel im Stapel uneingeforderter Manuskripte zu finden

AUF EIN BIER MIT... Eva-Maria Kaufmann, Florian Kessler & Susanne Krones

Auf ein Bier mit ... (© Thomas Brasch)
Auf ein Bier mit …
(© Thomas Brasch)

Lässig wippend am Mid-Century Schreibtisch sitzend, vor sich einen Berg intellektueller Manuskripte, rechts daneben Kaffee, schwarz, am Telefon den Literaturagenten aus New York, den Rotstift zur Korrektur noch hinter dem Ohr. So stellt man ihn sich doch vor, den Lektor eines renommierten Verlags. Und auch abseits der Klischees und Mythen, irgendwie ist es wahnsinnig sexy, Lektor zu sein.

Daher standen am vergangenen Mittwochabend EVA-MARIA KAUFMANN (Piper Verlag), FLORIAN KESSLER (Hanser Verlag) und SUSANNE KRONES (Luchterhand Literaturverlag)  in der neuen Literaturhaus-Reihe »Auf ein Bier mit …« Rede und Antwort, wie man eigentlich Lektor wird, wie der Arbeitsalltag im Verlag aussieht (Susanne Krones: »Es gibt keinen!«) und warum, wenn alle Stricke reißen, eine Karriere als Fischwirt auch noch eine Alternative wäre (Florian Kessler scheint einige gute Teiche zu kennen!). Und natürlich sollten die Literaturexperten erzählen, was denn eigentlich ein gutes Buch ausmacht, wie man mit schwierigen Autoren umgeht und wo man es denn nun findet, das Jahrhundertbuch, den Bestseller, das Debüt, über das alle reden werden.

Dass der Abend ein voller Erfolg war, bekam das Literaturhaus-Team nicht nur dadurch zu spüren, dass es stetig neue Stühle nachrücken musste. Als Hinweis schon mal vorab: Wir gehen im Herbst in Runde zwei, »Auf ein Bier mit …« jungen Literaturkritikern, die den Literaturmarkt dann von einer anderen Seite beleuchten werden.

Und da gestern Abend längst nicht alle Fragen in der Diskussion zum Zuge kamen und vielleicht der ein oder andere keine Gelegenheit mehr dazu hatte, anschließend mit seinem Lieblingslektor auf ein Bierchen anzustoßen, geht es nun einfach hier auf unserem Blog weiter: Kaufman, Kessler & Krones beantworten auf dem BLOG die restlichen Besucherfragen des gestrigen Abends!

HIER DIE WICHTIGSTEN FRAGEN AUS DEM PUBLIKUM:Fragen2(c)Sandra
»Welche Rolle spielt die ›Haltung‹ des Textes?«

 »Inwiefern helfen Schreibakademie und Stipendien Fuß in der Verlagsszene zu fassen?«

»Ich war überrascht, im Gespräch zu hören, Lektor/in ändere den Text. Ich hatte angenommen, Lektor/in empfehle/verlange Änderungen und Autor macht die Änderungen.«


»Wann veröffentlicht Michael Krüger im Hanser Verlag?«


»Wieviel Eskapismus verträgt die deutsche Literatur?«

Fragen(c)Sandra
»Wie wichtig ist das Cover für den ›Sound‹ des Buches?«


»Wann gibt der Lektor ein Buch ab?«


»Inwieweit hat er Einfluss auf Gestaltung, Cover, Platzierung auf dem Markt?«


»Wird es in 50 Jahren noch gedruckte Bücher geben?«


AYLA AMSCHLINGER liest am liebsten während des Frühstücks, nicht selten mit dem ärgerlichen Nebeneffekt, dass der Kaffee dabei kalt wird. Sonst streift sie gerne über Flohmärkte oder plant ihre nächsten Reisen in alle Welt. Bis Ende August 2015 ist sie Praktikantin im Literaturhaus München und schreibt parallel an ihrer Doktorarbeit in Germanistik.

MI 8.7.2015
»VON PLANETEN UND RAKETEN ODER WAS ERZÄHLT DIE AKTUELLE GEGENWARTSLITERATUR?«

AUF EIN BIER MIT … den LektorInnen Eva-Maria Kaufmann, Florian Kessler & Susanne Krones
Moderation: Antje Weber (Süddeutsche Zeitung)

7 Kommentare zu “Lesungskritik: Vom Fetisch, die Stecknadel im Stapel uneingeforderter Manuskripte zu finden”

  1. So viele gute Fragen! Ich fange mit der einfachsten an: »Inwiefern helfen Schreibakademie und Stipendien Fuß in der Verlagsszene zu fassen?« Sie helfen sehr, und das aus zwei Gründen:
    Erstens geben sie den Autorinnen und Autoren Zeit und Raum für die Arbeit an ihren Texten, bei den Akademien und Workshops darüber hinaus auch Rückmeldung, Rat und die Gelegenheit, sich mit anderen Schreibenden auszutauschen. Das tut den Texten unheimlich gut und selbst dann, wenn es trotzdem nicht zur Publikation eines Manuskripts führt, hat es den jeweiligen Autor, die jeweilige Autorin, ein ganzes Stück weitergebracht.
    Zweitens sind Akademien und Stipendien schon ein erster Schritt in den Literaturbetrieb. Hier schauen Lektorinnen und Lektoren und natürlich auch Agenturen genau hin, merken sich Namen, behalten diejenigen im Auge, deren Textproben ihnen gefallen haben. Oft ergibt sich bei Abschlusslesungen auch ein erstes persönliches Kennenlernen.

  2. Hätte ich geahnt, dass die Fragen noch ein wenig nachgearbeitet werden, hätte ich meine noch auf den Stapel gelegt. Vielleicht hat ja einer Lust, dennoch auf meine Nachfrage zu antworten:
    Angesichts des kurzen Fazits über den diesjährigen Bachmann-Wettbewerb: “Starke Frauen, schwache Männer” liegt es nahe zu fragen, ob sich dies auch in den Lektoraten bemerkbar macht?
    Mir selbst fiel dies – selbstverständlich völlig subjektiv – im Genre der aktuellen Gesellschaftsromane auf: https://thomasbrasch.wordpress.com/2015/06/23/ja-gila-lustiger-wir-alle-befinden-uns-in-fragwurdiger-gesellschaft/.

  3. Lieber Thomas Brasch, spontan glaube (und hoffe) ich absolut nicht, dass es generelle qualitative Unterschiede zwischen den aktuellen Veröffentlichungen von Frauen und Männern geben sollte – die Qualität bedingen doch wohl so viele verschiedene Faktoren, das es eigentlich immer einer vereinfachenden Rechnung gleichkommt, sie ausschließlich mit dem Geschlecht zu verknüpfen. Ich finde meistens am Auffälligsten am Sprechen über “weibliches Schreiben” oder “weibliche Jahrgänge”, dass die Beobachter da das Geschlecht so sehr in den Vordergrund rücken. Teilweise kann das sehr nerven, wenn etwa bei Autorinnen in Kritiken ganz anders ihr Aussehen thematisiert wird, als bei ihren männlichen Kollegen; oder wenn ein Label wie “Fräuleinwunder” von Anfang an auch etwas Pejoratives an sich hatte. So etwas war aber jetzt in Klagenfurt ja nicht der Fall, auf einem ganz falschen Weg ist die Sache also vielleicht nicht.

  4. Es war ein schöner Abend mit euch im Literaturhaus, und jetzt auch noch so viele gute Fragen: Danke!
    Ja, empfiehlt nun ein Lektor Änderungen, verlangt er sie oder ändert er gar selbst? Die Arbeit am Text zwischen Lektor und Autor ist Vertrauenssache, oft sehr persönlich und ein komplexer Austausch, aber der Autor hat das letzte Wort über seinen Text. Im Ablauf sind die einzelnen Lektorate so verschieden wie die Arbeitsweisen der Autoren und die Anlagen der Texte.
    Bei manchen Manuskripten greife ich vor allem stilistisch ein, und da ändere ich auch den Text – so markiert, dass der Autor das nachvollziehen und sich dazu verhalten kann. Es gibt aber auch die größeren Einwände, zum Beispiel wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass eine Figur psychologisch einwandfrei funktioniert. Oder wenn ich finde, ein Text macht es sich mit dem Ende zu leicht. Das bespreche ich mit dem Autor, schlage vielleicht Alternativen vor, und häufig entwickelt der Autor dann eine dritte Variante, die die beste Lösung ist.

  5. »Wie wichtig ist das Cover für den ›Sound‹ des Buches?«, hatte noch jemand von euch gefragt. Ich würde umgekehrt sagen: es ist der ›Sound des Buches‹, der wichtig für das Cover ist, denn der Text ist zuerst da, der Text ist das Eigentliche – und das Cover wird im besten Fall sein Gesicht, das ihm entsprechen sollte.
    Wenn wir ein Programm für das nächste Halbjahr komponiert haben, treffen wir uns mit unseren Umschlaggestaltern. Als Lektorin stelle ich Ihnen die einzelnen Bücher des nächsten Programms vor und übergebe ihnen jeweils auch Manuskripte oder Textproben, damit sie ein Gespür für den Ton und die Figuren bekommen. Die Vorstellung des Buches vor den Gestaltern mache ich als Lektorin natürlich ein wenig anders als die vor den Kollegen im Verlag. Für die Gestalter ist es wichtig, dass die Schauplätze, die Zeit der Handlung, Alter und Äußeres der Figuren angesprochen werden, damit sie eine Idee bekommen, was abgebildet werden könnte, in welcher Welt sich der Roman bewegt, vor allem aber ist wichtig zu vermitteln, welche Stimmung das Cover haben soll, welche Leserinnen und Leser es ansprechen soll, und was der Roman im innersten Kern erzählen will. Denn in der Regel sind gute Roman-Cover ja solche, die gerade keine Details aus dem Buch abbilden, sondern in sich eine Geschichte erzählen oder auch ganz abstrakt eine Stimmung erzeugen, die dem Buch entspricht.
    Wenn die Gestalter einige Wochen später die Coverentwürfe präsentieren, haben wir in der Regel für jedes Buch etliche Cover zu Auswahl, über die wir in großer Runde mit fast allen Kollegen abstimmen und beraten. Am schönsten sind natürlich die Momente, wenn sich sofort ein Favorit abzeichnet, wenn ein Cover dabei ist, das einfach stimmt.
    Ein wenig ist damit auch schon die andere Frage beantwortet, die ihr noch gestellt habt: »Inwieweit hat er Einfluss auf Gestaltung, Cover, Platzierung auf dem Markt?« Der Einfluss des Lektors oder der Lektorin auf Cover und Gestaltung des Buches ist insofern groß, als er oder sie die Gestalter beauftragen, ihnen die Bücher vorstellen, um ihnen ein Bild von den Texten zu geben, erste Ideen vorschlagen. Wenn dann in der nächsten Runde aus verschiedenen Coverentwürfen ausgewählt wird, ist die Meinung des Lektorats wichtig, weil der Lektor das Buch am besten kennt. Ebenso wichtig ist dann aber auch die Einschätzung unserer Vertriebs- und Pressekollegen, die viel Erfahrung damit haben, wie bestimmte Cover ankommen, wahrgenommen und eingeschätzt werden. Ähnlich ist es auch mit der Platzierung des Buches: Das ist im allerbesten Fall immer eine Entscheidung, die sich aus Diskussionsprozessen zwischen Verleger, Lektorat, Vertrieb, Presse- und Marketingkollegen ergibt.
    Habt ihr Lieblingscover? Oder euch schon einmal über ein Cover richtig geärgert?

  6. Und weil’s so schön war, noch eine hinterher: »Wird es in 50 Jahren noch gedruckte Bücher geben?«
    Ja, das wird es. Es werden wahrscheinlich weniger sein als heute – das Börsenblatt verzeichnet für 2013 sage und schreibe 93.600 Novitäten in Erst- und Neuauflagen, http://www.boersenblatt.net/artikel-buch_und_buchhandel_in_zahlen.373296.html –, aber immerhin werden in Europa seit dem 15. Jahrhundert kontinuierlich Bücher gedruckt.
    Das heißt aber nicht, dass sich die Rollen von Buch, Verlag, Lektor und literarischer Öffentlichkeit nicht verändern werden. Der digitale Wandel stellt uns nicht nur vor die Aufgabe, E-Books zu produzieren und zu verbreiten, sondern wir müssen über Grundsätzliches nachdenken: Wie und wo wird jetzt und in Zukunft über Bücher gesprochen? Wie schaffen wir neue digitale Erlösmodelle? Wie verändert der Medienwandel die Texte, mit denen wir arbeiten? Da stehen wir mit der literarischen Produktion in dem größeren Kontext der Digitalisierung der Gesellschaft, und diesen Kontext sollten wir mitdenken und gestalten.

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