28.4.04 - 1.5.05

Ausstellung

Robert Musil & Joseph Gallus Rittenberg

Eine unerwartete Begegnung

DIE AUSSTELLUNG
Die Autorin Eva-Monika Turck (»Thomas Mann. Fotografie wird Literatur«; »Lucien Clergue, poésie photographique«, beide Prestel Verlag) hat durch ihre Arbeit an der Monographie von Joseph Gallus Rittenberg überraschende Korrespondenzen zwischen den Bildern des namhaften Fotografen und dem Text aus Robert Musils »Der Mann ohne Eigenschaften« gefunden. Angeregt von dieser Entdeckung wurden für die Ausstellung eine Auswahl von Rittenbergs Fotografien Stellen aus diesem Roman Musils zugeordnet. Bild und Sprache verdeutlichen das Konzept: eigentlich Unsagbares und Undarstellbares erfahrbar zu machen und die Vergeblichkeit mit Sprache auf die ursprüngliche Bedeutung von Begriffen und Gedanken vordringen zu können. »Es waren Ähnlichkeiten und unüberbrückbare Unähnlichkeiten zugleich«, sagt Musil in »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß«. Rittenberg verdeutlicht durch seine Bilder, dass auch die Fotografie neben der pedantisch genauen Abbildungsfähigkeit eine fantastische Möglichkeit des »Anders-Sehens« offen hält.

ROBERT MUSIL, geboren 1880 in Klagenfurt, hatte als Ingenieur für Maschinenbau und durch Forschungsarbeiten in der Physik ein besonderes Vermögen zum Abstrahieren, Prüfen und Weiterbauen an den Tag gelegt. Ein zusätzliches Studium der Philosophie und Psychologie führte ihn dazu, den Grundvorgang des Erlebens zu prüfen. Als Dichter beleuchtet er den »anderen Zustand« des Irrationalen und Unsagbaren und sucht die Vereinigung zweier Wirklichkeiten: der »ratioïden« und »nichtra- tioïden«. Musil bezeichnete sich im geistigen Sezieren der Wirklichkeit als »Vivisecteur«. Die dichterische Gestaltung dieser Erkenntnis verdichtet sich in seinem 1930 veröffentlichten Roman Der Mann ohne Eigenschaften, der zum literarischen Ereignis des 20. Jahrhunderts wurde. 1938 emigrierte Musil mit seiner Frau in die Schweiz und starb 1942 in Genf.
Musil, der sich nur an »Sachverhalte« erinnern konnte, benutzte Fotografien zur Anschaulichkeit seiner Beschreibungen. Die Fotografie interessierte ihn aber vor allem als optisches Experiment in Analogie zu seinem gestaltenden Denken der Verwandlung und Umbildung. Von Ulrich, dem Protagonisten des Romans »Der Mann ohne Eigenschaften«, der sich in der Glasscheibe betrachtet, heißt es: »Aber da schwebte nun sein Kopf in dem flüssigem Glas nach einer Weile wunderbar eindringlich zwischen Innen und Außen und verlangte nach irgendeiner Ergänzung« (Erstes Buch, Kapitel 83, S. 359). Die unheimliche Balance des Seelenzustands ver- gleicht Musil mit einer »Entwicklungskammer«. Als feste Spur auf der fotografischen Platte aber hatte die Magie dieser Bilder für Musil »alles Geheimnis verloren, weil sie fast schon wieder wie die Wirklichkeit ist« (MoE, Ausgabe von 1952, Zweites Buch, Kapitel 116, S. 1521).
Musils Oszillieren zwischen der Idee des Möglichen und einer existierenden Außenwelt, sein poetisches Verfahren, Übergänge von Realität und Vision anzudeuten, findet eine frappierende Analogie in der Fotografie des Österreichers Joseph Gallus Rittenberg.

JOSEPH GALLUS RITTENBERG wurde 1948 in Linz geboren. Als Ältester einer kinderreichen, armen Landarbeiterfamilie lernte er früh die Schattenseiten des Lebens kennen. Er studierte in Salzburg und Wien Malerei und Bühnenbild, besuchte die Hochschule für Film und Fern- sehen in München, wo er seit 1970 lebt. Seine Filmplakate wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Seit 1977 arbeitet er als freischaffender Fotograf für veschiedene Zeitungen (AZ, SZ, DIE ZEIT u. a.).
Rittenbergs Porträtierte sind Künstler. Am Bildrand angesiedelt als dunkle Gestalten vor dem Licht oder als helle Figuren vor dunklem Grund, erwecken sie den Eindruck von geschei- terten »Hellsehern«, die am Rande eines Lebens stehen, das ihre Sendung nicht versteht. Isoliert, vom Lebensumfeld abgeschnitten, schweben sie ohne festen Boden im dunklen Raum, der sich über die Gestalten stülpt. Im Zusammenfließen von Hell und Dunkel, in der Unentscheidbarkeit für eine Wirklichkeit eröffnet sich ein neuer »Sehraum«. Rittenberg hat den Blick, den Rachel und Soliman in »Der Mann ohne Eigenschaften« durchs Schlüsselloch nehmen, festgehalten: »Märchenhaft und unheimlich schwoll das Leben an, durch einen Türspalt und eine Einbil- dung gesehen. Das Leben zerfiel in helle Einzel-heit. Der Boden schien sich unter ihren Füßen zu heben, und der Geist des Ereignisses umschloß sie« (Erstes Buch, Kapitel 44, S. 181). Rittenbergs Fotografien zeigen, dass »die Magie der aus ihrem Rahmen blickenden Bilder«, auch wenn sie als Spur auf der fotografischen Platte enden, bewahrt werden kann.